Neues aus der Modellregion für nachhaltige Mobilität

Weitere Standorte für den flächendeckenden Aufbau von Ladeinfrastruktur für Elektromobilität, drei neue Kofinanzierungsprojekte in der Modellregion für nachhaltige Mobilität, die Umgestaltung des Vaihinger Bahnhofs als Projekt der IBA 2027, zusätzliche Fahrradautobahnen im Land und zahlreiche innovative Modellvorhaben, die in den Landkreisen auf den Weg gebracht werden: Auch in der zweiten Jahreshälfte hat sich in der Region Stuttgart viel getan in Sachen Mobilität.

© fotolia.com/monsiti
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Umweltfreundliche Zweiräder statt motorisierter Dienstwagen: Dieses nachhaltige Angebot will Baden-Württemberg im Frühsommer 2020 als erstes Bundesland für seine Beamten in der Landesverwaltung einführen. Laut Verkehrsministerium können sich dann über 170.000 Beamte für das neue Radleasingmodell entscheiden, wählen können sie dabei neben herkömmlichen Bikes und Pedelecs auch Renn- oder Lastenräder. Mit diesem Pilotprojekt will Winfried Hermann, Verkehrsminister des Landes und bekennender Radler, die betriebliche Mobilität in der Landesverwaltung künftig nachhaltiger und emissionsärmer gestalten. Gleichzeitig plant die grün-schwarze Landesregierung bis 2030 eine Verdopplung des Fahrradverkehrs im Land. Unter anderem sollen dafür 20 neue „Fahrradautobahnen“ gebaut werden, also Radschnellwege, die durch die Region führen und die Kommunen verbinden.

Eines von vielen Beispielen, die für die Mobilitätswende stehen und vorführen, dass der Prozess des Umdenkens längst in vollem Gange ist und alle Bereiche des Lebens, der Wirtschaft und der Gesellschaft erfasst hat. Dies gilt insbesondere auch für die Region Stuttgart, die sich zu einer Modellregion für nachhaltige Mobilität weiterentwickeln soll. Diesen Titel trägt auch das Kofinanzierungsprogramm, mit dem die Region Stuttgart seit 2012 innovative Mobilitätsprojekte unterstützt. In sieben Ausschreibungsrunden wurden vom Verband Region Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) bisher insgesamt 29 Modellvorhaben für die Stadt und den ländlichen Raum auf den Weg gebracht. In der achten Kofinanzierungsrunde, die im November dieses Jahres abgeschlossen wurde, sind vom Wirtschaftsausschuss der Regionalversammlung nun drei weitere Projektvorhaben bewilligt worden.

Im Landkreis Göppingen wird mit Unterstützung der Region ein interkommunales und flächendeckendes eCarsharing aufgebaut. Es soll vor allem im ländlich geprägten Raum des Landkreises den ÖPNV unterstützen, die One-Way-Ausleihe der E-Pkw ist dabei möglich. Die Kofinanzierungsmittel der Region werden sowohl für das Leasing von Elektroautos als auch für den Aufbau von Ladeinfrastruktur eingesetzt.

Die Stadtverwaltung Ludwigsburg wiederum setzt in ihrem Fachbereich Nachhaltige Mobilität auf den Aufbau eines überbetrieblichen Mobilitätsmanagements am Gewerbestandort Weststadt. Ziel des Modellvorhabens ist die bessere Erreichbarkeit des Standorts für alle Zielgruppen, wobei alle Verkehrsträger eingebunden werden sollen. Gleichzeitig möchte man die Aufenthaltsqualität verbessern sowie den Parksuchverkehr reduzieren.

Beim dritten Mobilitätsvorhaben der Region geht es um einen automatisierten Linienbus in Waiblingen/Ameisenbühl. Als Ergänzung zum ÖPNV soll das ehemalige Ziegelei-Areal Hess, das zu einem zukunftsweisenden Technologiepark weiterentwickelt wird, mit zwei autonom fahrenden Minibussen bedient werden. Mit dem Land Baden-Württemberg laufen aktuell Gespräche über eine Förderung und Beteiligung. In Abhängigkeit der Ergebnisse beteiligt sich die Region Stuttgart ebenfalls an diesem innovativen Modellprojekt.

Die bisherige Gesamtbilanz des Innovationsprogramms spricht dabei für sich: Mit Abschluss der achten Ausschreibungsrunde wurden in der Modellregion für nachhaltige Mobilität insgesamt 8,3 Millionen Euro Kofinanzierungsmittel in 32 vorbildhafte Mobilitätsprojekte in den Schwerpunkten innovativer ÖPNV, intermodale Mobilitätspunkte, Pedelec-Verleihstationen, e-Zweirad und e-Dreirad, Elektromobilität, e-Carsharing und betriebliches Mobilitätsmanagement investiert.

Gleichzeitig wird in der Region Stuttgart auch der Ausbau der Elektromobilität weiter vorangetrieben. Seit 2018 läuft im Land Baden-Württemberg das Verbundprojekt LINOx BW mit dem Ziel, durch den vermehrten Einsatz von Elektrofahrzeugen die verkehrsbedingten Schadstoffemissionen in Städten und Ballungsräumen zu verringern. Im Projekt „LINOx BW – Aufbau von Ladeinfrastruktur zur Reduktion der NOx-Belastungen in Baden-Württemberg“ haben sich unter Federführung des Städtetags Baden-Württemberg fast alle der von hoher NOx-Emission betroffenen Kommunen zusammengeschlossen, um durch den Aufbau von Ladeinfrastruktur kurzfristig eine nachhaltige Verbesserung der Luftqualität zu erreichen. Auch der Verband Region Stuttgart ist als Verbundpartner am Projekt beteiligt.

Im Rahmen von LINOx BW können Unternehmen, öffentliche Einrichtungen oder sonstige juristische Personen aus Kommunen mit hoher NOx-Belastung in Baden-Württemberg Förderung für den kurzfristigen Aufbau von Ladeinfrastruktur (LIS) im halb-öffentlichen, öffentlich nicht zugänglichen und privaten Raum beantragen Das Verbundprojekt wurde im Sommer 2019 bis zum September 2022 verlängert (Antragsunterlagen und Informationen auf der Projekt-Webseite.

Das besondere Angebot von LINOx BW besteht darin, ganz unterschiedliche Lösungen für den Aufbau von Ladeinfrastruktur zu ermöglichen, etwa über Wallboxen oder Gleichstrom- und Wechselstromladesäulen unterschiedlicher Leistung, die in Tiefgaragen, auf privaten Parkplätzen und Firmenhöfen, in Parkhäusern oder am Straßenrand aufgestellt werden können. In der Region Stuttgart sind aktuell über 900 Ladepunkte im privaten oder halböffentlichen Raum in 23 Kommunen im Aufbau.

Die Zukunft der Mobilität beschäftigt die Region Stuttgart in vielerlei Hinsicht: Als Standort der Automobilproduktion, als vielfältig verflochtener Metropolraum mit Stau und Umweltproblemen oder als anspruchsvolle Großbaustelle von Stuttgart 21. Auch die Macher der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2027 StadtRegion Stuttgart haben daher zum Thema nachhaltige Mobilität verschiedene Projekte in das IBA-Projektnetzwerk aufgenommen. Zwar ist die IBA keine „Mobilitätsausstellung“, sondern eine Bauausstellung. Sie definiert aber verschiedene „Themen und Räume“, um die Dimensionen des Wandels greifbar und erlebbar zu machen. Eine der Thema-Raum-Kombinationen lautet: „Orte der Bewegung und Begegnung“ und behandelt das Thema Mobilität.

Der Fokus liegt dabei auf den räumlichen Auswirkungen der Drehscheiben des öffentlichen Verkehrs. Diese sind im S-Bahn-Netz häufig reine Halte-, Ein- und Ausstiegspunkte, umgeben von Busbahnhöfen und Park-and-Ride-Anlagen mit minimaler Infrastruktur. Abgesehen vom funktionalen Druck, den steigende Passagierzahlen auslösen, haben diese Bahnhöfe ein großes Verdichtungspotenzial. Mit ergänzenden Funktionen und Bauwerken können sie in Zukunft zu Orten der Verkehrsreduzierung werden. Coworking-Spaces, temporäres Wohnen, Kultur, Sport, Freizeit und Kinderbetreuungseinrichtungen ermöglichen es, dass viele Fahrten gar nicht im Verkehrsnetz, sondern zu Fuß oder mit leichten Fahrzeugen nur bis zum Bahnhof stattfinden. Oft in enger Nachbarschaft zu hohen Arbeitsplatzkonzentrationen – beispielsweise in Gewerbegebieten – können die Bahnhöfe mit ihrer Infrastruktur die Alltagsqualität erhöhen, indem sie mit Gastronomie und Dienstleistungsangeboten, gut gestalteten Freiräumen und weiterer Infrastruktur das Arbeitsumfeld aufwerten.

Ein Beispiel ist der Bahnhof Stuttgart-Vaihingen, der zum Regionalbahnhalt ausgebaut wird und durch einen Zuwachs an Beschäftigten im angrenzenden Gewerbegebiet Synergiepark zunehmend an Bedeutung als zentraler Mobilitätsknoten gewinnt. Die Projektidee sieht vor, ein Zukunftslabor zum Thema Mobilität zu gestalten, kombiniert mit einem Mobilitätszentrum. Zusammen mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung werden vor Ort Strategien und zukünftige Mobilitätskonzepte entwickelt, erprobt und erlebbar gemacht. Ziel ist es, das Potenzial der Fläche als städtebauliches Bindeglied zwischen dem Zentrum Vaihingens und dem größten Stuttgarter Gewerbegebiet herauszuarbeiten. In einem innovativen Planungs- und Beteiligungsprozess werden die Akteure, Unternehmen sowie Bürger einbezogen.

Von großer Bedeutung sind die Themen Verkehr und Mobilität insbesondere auch für die Wirtschaft in der Region Stuttgart. Staus und damit verbunden gestresste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hohe Umweltbelastung durch die von den Unternehmen verursachten Verkehre sowie die Sicherstellung ihrer Erreichbarkeit beschäftigen zahlreiche Unternehmen schon lange. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart hat daher bereits in den vergangenen Jahren verschiedene Untersuchungen in Auftrag gegeben („IHK-Erreichbarkeitsanalyse“, Studie „Dem Stau auf der Spur“ und „Wie attraktiv sind Standorte in der Region Stuttgart?“), um die Relevanz der Themen zu bestimmen und die Folgen zu analysieren. Vor dem Hintergrund zusätzlicher Herausforderungen wie Fahrverbote und anderer Restriktionen hat die IHK Region Stuttgart nun eine weitere Studie in Auftrag gegeben. Kern der Untersuchung soll sein, welche Hürden und Hemmnisse für betriebliches Mobilitätsmanagement bestehen und welche Veränderungen an den Rahmenbedingungen (Förderung, Beratung, Marketing etc.) vorgenommen werden sollten, um das betriebliches Mobilitätsmanagement und seine Bestandteile und Maßnahmen für die Unternehmen attraktiver zu machen.

All das zeigt: Die Evolution der Mobilität läuft auf Hochtouren. Wir stehen am Beginn eines neuen, multimobilen Zeitalters, das neue Mobilitätskonzepte, wie autonome E-Shuttle-Busse, Flugtaxis und komplett emissionsfreie Innenstädte mit sich bringen wird. Was nach Zukunftsszenario klingt, ist an manchen Orten schon Realität, wie ein Blick in die weite Welt der Mobilität zeigt. In Norwegen beispielsweise, dem wohl bekanntesten Vorbild in Sachen Elektromobilität in Europa, ist bereits heute jedes zweite zugelassene Fahrzeug ein E-Mobil. Und wer sich in Amsterdam ein Elektrofahrzeug kauft, aber keinen eigenen Parkplatz mit Stromanschluss besitzt, bekommt von der Stadtverwaltung kostenlos eine öffentliche Ladesäule in der Nähe gestellt. Ein Angebot, das der Stadt das dichteste Ladesäulennetz Europas beschert hat. Im  südwestchinesischen Yibin wiederum ist eine Straßenbahn in Betrieb genommen worden, die weder Schienen noch einen Fahrer braucht. Sie wird elektrisch betrieben, fährt autonom und erreicht eine Geschwindigkeit von bis zu 70 Kilometern pro Stunde. Gesteuert werden die drei Waggons für 300 Passagiere über optische Sensoren sowie das globale Navigationssystem. Derweil ist in Kanada bereits das elektrische Zeitalter in der Luftfahrt eingeläutet worden. Nach dem erfolgreich bestandenen Jungfernflug des ersten voll elektrisch angetriebenen Verkehrsmaschine der Welt, einem Wasserflugzeug vom Typ DHC-2, soll nun die gesamte Flotte umgerüstet werden.