Entspannt und klimaneutral zur Arbeit: betriebliche Mobilitätskonzepte, neue Arbeitswelten, regionale Netzwerke

Ausgewählte Beispiele zeigen, dass sich viel tut in der Region Stuttgart in Sachen betriebliches Mobilitätsmanagement. Fest steht: Um das Mobilitätsmanagement in Kommunen und Gewerbestandorten voranzubringen, braucht es eine offene Kommunikation, eine fundierte Beratung und Information sowie einen intensiven Erfahrungsaustausch zwischen den Akteuren.

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In der gesamten Region Stuttgart arbeiten rund 1,3 Millionen Beschäftigte in den drei größten Wirtschaftssektoren. Die meisten davon im Bereich Sonstige Dienstleistungen (48%), dann folgen das Produzierendes Gewerbe (32,9%) sowie Handel, Gastgewerbe und Verkehr (18,7%). Selbst im November dieses Jahres, in dem die Wirtschaft entscheidend von den Folgen der Corona-Pandemie geprägt war, lag die regionale Arbeitslosigkeit laut Bundesagentur für Arbeit mit einer Quote von 4,4 Prozent deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 5,9 Prozent.

Die hohe Wirtschafts- und Innovationskraft sowie die starke Vernetzung in den Produktions- und Automotive-Clustern sichern seit jeher den Wohlstand und den sozialen Zusammenhalt in der Region. Es gibt dabei allerdings auch eine Schattenseite: Das überdurchschnittlich hohe Verkehrsaufkommen. Gemessen an den zurückgelegten Personenkilometern beträgt die jährliche Verkehrsleistung der rund 2,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner über alle Verkehrsmittel hinweg gewaltige 39,5 Milliarden Kilometer. Davon werden jährlich etwa 19,4 Milliarden Kilometer mit dem privaten Auto gefahren. Hohe Schadstoffemissionen, Staus und Lärm sind die bekannten negativen Folgen für Mensch und Umwelt – Unfälle, Zeitdruck und Stress sind weitere Begleiterscheinungen, mit denen eine erhebliche Gesundheitsgefährdung verbunden ist.

Rund 40 Prozent der regionalen Verkehrsleistung, also fast 16 Milliarden Kilometer, werden vom Berufsverkehr verursacht. Vor diesem Hintergrund gewinnt ein nachhaltiges betriebliches Mobilitätsmanagement für Kommunen, Unternehmen, Hochschulen, Kliniken und weitere Betriebe zunehmend an Bedeutung. Betriebliche Mobilitätskonzepte, die den individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten gerecht werden, setzen beispielsweise auf die Förderung des Radverkehrs im Betrieb, gewähren finanzielle Zuschüsse zum ÖPNV oder ermöglichen neue, mobile Arbeitsformen im Homeoffice oder im wohnortnahen Coworking-Center. Von diesen Maßnahmen profitieren Wirtschaft und Umwelt gleichermaßen – und natürlich insbesondere die rund 900.000 Berufspendler*innen der Region Stuttgart.

Die WRS organisiert bereits seit dem Jahr 2015 regionale Netzwerkveranstaltungen für Kommunal- und Kreisverwaltungen, Unternehmen, Hochschulen und Betriebe, um auf diesem Weg den regionalen Wissens- und Erfahrungsaustausch zum betrieblichen Mobilitätsmanagement (BMM) zu unterstützen, Best-Practice Beispiele zu diskutieren und Innovationsprojekte anzustoßen. Auch in diesem Jahr konnte trotz der schwierigen Rahmenbedingungen zu einem Gesamtnetzwerktreffen – BMM geladen werden, bei dem sich die Beteiligten in einer virtuellen Dialogveranstaltung über Bus und Bahn, über neuere Mobilitätsangebote wie das regionale Park& Ride-Angebot oder das Fahrrad- und Pedelec-Verleihsystem RegioRadStuttgart ausgetauscht haben. Gerade solche Sharingsysteme, egal ob für das Auto, Fahrrad oder Lastenrad, stehen für einen neuen Ansatz, um in Quartieren und Gewerbestandorten den täglichen Verkehr klimafreundlich und nachhaltig zu gestalten.

Ein weiterer Schwerpunkt beim diesjährigen Gesamtnetzwerktreffen – BMM war das Münchner Programm zum betrieblichen Mobilitätsmanagement, das vom Referat für Arbeit und Wirtschaft der bayrischen Landeshauptstadt jährlich organisiert wird. Das Programm bietet Unternehmen und Betrieben Vorortberatungen zur Implementierung eines nachhaltigen Mobilitätsmanagements und begleitende firmenübergreifenden Workshops – und das mit großem Erfolg. Seit Programmstart im Jahr 2003 konnten über 100.000 Beschäftigte aus dem Stadtgebiet und dem Landkreis München mit Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs, zur Erhöhung des ÖPNV-Anteils oder zur Verbesserung der Mobilität im Gewerbegebiet erreicht werden.

Aber auch in den Kommunen und Landkreisverwaltungen der Region Stuttgart etabliert sich das betriebliche Mobilitätsmanagement zunehmend als fester Bestandteil des Umwelt- und Personalmanagements. Die Verwaltungsstandorte übernehmen dabei eine Vorbildfunktion und setzen Maßnahmen wie die Förderung des Radverkehrs, die Organisation eines Mitfahrportals oder die Elektrifizierung des Fuhrparks in ihren eigenen Organisationen um. Gleichzeitig organisieren Kommunen und Landkreisverwaltungen lokale Unternehmensnetzwerke und Workshops mit den Unternehmen vor Ort und leisten einen wichtigen Beitrag, das betriebliche Mobilitätsmanagement als festen Bestandteil des kommunalen oder landkreisweiten Klimaschutzkonzepts zu etablieren.

So entwickelt beispielsweise das Landratsamt Ludwigsburg derzeit ein betriebliches Mobilitätskonzept für die eigene Standortverwaltung mit rund 2.000 Beschäftigten. Im nächsten Schritt sollen weitere Unternehmen und Betriebe für das Mobilitätsmanagement gewonnen werden. Und im Landkreis Böblingen ist das betriebliche Mobilitätsmanagement ein fester Bestandteil des integrierten Mobilitätskonzepts, das in einem kreisweiten Beteiligungsprozess entwickelt wurde und mit insgesamt 13 Leitprojekten eine nachhaltige Mobilität im Landkreis Böblingen vorantreiben soll.

©Stadt Ludwigsburg/Werner Kuhnle 2015
Stadt Ludwigsburg/Werner Kuhnle 2015

Die Stadtverwaltung Ludwigsburg setzt bereits seit dem Jahr 2007 auf ein nachhaltiges Mobilitätsmanagement in Unternehmen und Betrieben und hat als eine der ersten Kommunen in der Region systematische Unternehmens- und Beschäftigtenbefragungen zum betrieblichen Mobilitätsmanagement durchgeführt. Gleichzeitig organisiert sie eine Workshopreihe für die ansässigen Unternehmen und arbeitet kontinuierlich an der Weiterentwicklung von Mobilitätsangeboten für Pendelnde und Reisende zur Abdeckung der ersten und letzten Meile. Im Jahr 2018 fiel die Entscheidung zur Schaffung des neuen Fachbereichs „Nachhaltige Mobilität“, in dem nun sämtliche Mobilitätsthemen der Stadt gebündelt werden, darunter auch das betriebliche Mobilitätsmanagement.

Im Januar 2020 ging das Innovationsprojekt „Überbetriebliches Mobilitäts-management in der Weststadt Ludwigsburg“ an den Start, das durch das regionale Programm „Modellregion für nachhaltige Mobilität“ des Verbands Region Stuttgart und der WRS finanziell unterstützt wird. Erklärtes Ziel der Projektbeteiligten ist eine bessere Erreichbarkeit des Standorts für alle Zielgruppen, die zu weniger Parksuchverkehr führen soll. Gleichzeitig soll die Aufenthaltsqualität im Gewerbegebiet verbessert werden. Beim Auftaktworkshop in den Räumlichkeiten der Firma grow platform GmbH, einem Startup von Bosch, diskutierten im Februar Vertreter der ansässigen Unternehmen, der Stadtverwaltung Ludwigsburg und der Region Stuttgart an drei Themenstationen. Auf der Agenda standen die firmenübergreifenden Potenziale von Fahrrad(-verleihsystemen), von Corporate Parking und Fahrgemeinschaften am Gewerbestandort. Die Ergebnisse wurden über den Sommer in verschiedenen Projektwerkstätten vertieft und Ende Oktober in einer zweiten Dialogveranstaltung präsentiert. Parallel zum Projekt plant die Stadtverwaltung Ludwigsburg für das Jahr 2021 die Einführung von Parkraumbewirtschaftung in der Süd- und in der Weststadt. Das Modellvorhaben ist auf zwei Jahre angelegt, im Jahr 2021 wird die Workshopreihe weiter fortgesetzt.

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© gemeinsamweiterkommen

Der Ansatz des überbetrieblichen Mobilitätsmanagements eignet sich aber nicht nur für größere Städte und Mittelzentren. Auch im ländlich geprägten Raum kann damit eine nachhaltigere Gestaltung von Pendel- und Wirtschaftsverkehren erreicht werden. In der Gemeinde Bad Boll setzen sich die Evangelische Akademie und die WALA Heilmittel GmbH bereits seit dem Jahr 2016 gemeinsam mit der Gemeindeverwaltung und mit weiteren lokal ansässigen Institutionen (unter anderem mit der Rehaklinik Bad Boll und dem Hotel Seminaris) für eine nachhaltige Mobilität am Standort ein. Im Dezember 2017 wurde die Initiative aus Bad Boll im bundesweiten Wettbewerb mobil gewinnt in Berlin ausgezeichnet und zur Förderung vorgeschlagen, im Februar 2019 konnte das Projekt mit finanzieller Unterstützung von Seiten des BMVI endlich starten. Seit Projektbeginn setzen die Verantwortlichen vor allem auf offene Beteiligungsprozesse und auf eine intensive Kommunikation mit allen Anspruchsgruppen. Im Vordergrund steht die Änderung des Mobilitätsverhaltens von Beschäftigten, Kunden, Gästen und nicht zuletzt der Bürgerinnen und Bürger von Bad Boll. Die Hochschule Bielefeld begleitet und evaluiert das Vorhaben und sorgt für wichtige Impulse aus der sozialwissenschaftlichen Theorie.

Wie kann man Menschen dazu motivieren, ihr Mobilitätsverhalten, das über Jahrzehnte stark vom „eigenen Auto“ geprägt wurde, in Richtung klimaneutraler Alternativen zu verändern?

Der systemische Ansatz hat sich bewährt, bis heute wurde viel erreicht: So wurde im Projekt eine Online-Plattform für die klimafreundliche Anreise der vielen Gäste entwickelt, für Transporte zwischen den Betriebsstandorten ist ein Lastenrad im Einsatz und die Gemeinde Bad Boll hat eine zusätzliche Bushaltestelle für Pendelnde und Hotelgäste gebaut. Darüber hinaus wurde ein altes Buswartehäuschen zu einem attraktiven Radparkhaus mit Schließfächern und Lademöglichkeiten umgebaut. Das Förderprojekt läuft Ende dieses Jahres aus.
Die Initiative „Gemeinsamweiterkommen in Bad Boll“ ist mittlerweile aber als Beteiligungsprozess in der Gemeinde zur Mitgestaltung der Mobilitätswende fest etabliert und wird auch über die Bundesförderung hinaus mit weiteren Projekten und Maßnahmen fortgesetzt. Die Ideen reichen von einem gemeinsamen Parkraummanagement über eine Mobilitätsstation im Kur-Areal bis zur Unterstützung der Reaktivierung der Boller Bahn.

Weitere Informationen finden Sie auf der Projektwebseite:
Gemeinsam weiterkommen.

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Wenn es um die Umsetzung der Verkehrswende geht, stehen als Handlungsfelder häufig die „Drei Vs“ im Vordergrund: Verkehr vernetzen, verlagern und vermeiden. Eine zentrale Maßnahme zur Vermeidung von Verkehr ist das mobile Arbeiten im Homeoffice oder im wohnortnahen Coworking-Center. Mobiles Arbeiten ist durch die Corona-Pandemie ins Zentrum neuer Arbeitswelten gerückt – damit verbunden ist gleichzeitig eine deutliche Reduzierung der Verkehre rund um Betriebe. Vor diesem Hintergrund hat die WRS im Mai 2020 eine eigene Kurzumfrage zum mobilen Arbeiten in der Region Stuttgart durchgeführt. Das Ergebnis: 86 Prozent der Befragten bewerten das räumlich-flexible Arbeiten als positiv oder sogar als sehr positiv. Entsprechend unterstützt die WRS auch den „Regionalen Dialog“ im bundesgeförderten Projekt VenAMo – Verkehrsentlastung durch neue Arbeitsformen und Mobilitätstechnologien“, in dessen Zentrum vor allem die sozialwissenschaftlichen Aspekte von mobilem Arbeiten und der allgemeinen Mobilitätsdebatte stehen. Im Jahr 2020 fanden bereits vier Roadshows mit insgesamt 14 assoziierten Partnern aus der Region Stuttgart statt. Für das Verbundprojekt konnten Vertreter aus Kommunen, Landratsämtern, Hochschulen und Unternehmen der Privatwirtschaft gewonnen werden, zum Programm gehören Expertengespräche, Beschäftigtenbefragungen und Reallabore.
Bei Interesse zur Beteiligung am Regionalen Dialog wenden Sie sich gerne per Email an alexandra.bading@region-stuttgart.de.

Dies sind nur einige ausgewählte Beispiele, die zeigen, dass sich viel tut in der Region Stuttgart in Sachen betriebliches Mobilitätsmanagement. Fest steht: Um das betriebliche Mobilitätsmanagement in Kommunen und Gewerbestandorten voranzubringen, braucht es eine offene Kommunikation über unternehmensspezifische Herausforderungen und Ziele, eine fundierte Erstberatung, die Bereitstellung von Informationen sowie einen intensiven Erfahrungsaustausch zwischen den Akteuren. Im Sommer 2020 hat die IHK Region Stuttgart eine Studie zum betrieblichen Mobilitätsmanagement durchgeführt, um mehr über die Motivation, Treiber und Hemmnisse für die Umsetzung in den befragten Unternehmen und Betrieben zu erfahren. Die Ergebnisse der Studie und daraus abgeleitete Handlungsempfehlungen für Politik, Wirtschaft und Verbände werden voraussichtlich im Frühjahr 2021 veröffentlicht.

Auch die WRS wird im kommenden Jahr 2021 ihre regionale Netzwerkarbeit zum betrieblichen Mobilitätsmanagement weiter intensivieren und ihre Angebote gemeinsam mit ihren regionalen Partnern zielgruppengerecht erweitern.