Monika Burkard, Geschäftsführerin der NVBW – Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW), erklärt im Interview, welche Rolle die Kommunen im Land bei der Mobilitätswende spielen, welche Unterstützungsangebote es gibt und warum es wichtig ist, konkrete Anlässe zum Umdenken zu schaffen.
Frau Burkard, die NVBW mit Ihnen als Geschäftsführerin unterstützt das Verkehrsministerium des Landes dabei, die ambitionierten Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erreichen. Mit Blick auf Metropolen wie Stockholm, Paris, Kopenhagen oder auch Zürich scheint es hier noch einigen Nachholbedarf zu geben. Woher nehmen Sie den Optimismus, dass dieses ambitionierte Vorhaben gelingen kann, dass alle Beteiligten mitziehen?
Monika Burkard: Aus der tiefen Überzeugung heraus, dass die Zukunftsfähigkeit das entscheidende Kriterium für unser Handeln ist, wir also gefordert sind, all unsere Aktivitäten und Vorhaben darauf aufzurichten. Denn damit ein prosperierender Wirtschaftsstandort wie Baden-Württemberg zukunftsfähig bleibt, müssen wir nicht nur in die Technologien von morgen investieren, sondern insbesondere auch die Mobilität zukunftsfähig gestalten. Und die Mobilität der Zukunft funktioniert eben nur, wenn sie menschen- und klimafreundlich, bezahlbar, intelligent, vernetzt und emissionsarm ist, also in jeglicher Hinsicht nachhaltig.
Und welcher Weg führt zu diesem Ziel, also welche Strategie steht hinter dem Vorhaben?
Monika Burkard: Um messbar und greifbar zu machen, um welche Dimension es auf dem Weg zur Klimaneutralität geht, hat das Verkehrsministerium fünf konkrete Ziele für die Verkehrswende bis 2030 definiert: Bis 2030 soll eine Verdoppelung des öffentlichen Verkehrs erreicht sein, jedes zweite Auto klimaneutral fahren, ein Fünftel weniger Kfz-Verkehr in Stadt und Land unterwegs sein, jede zweite Tonne im Güterverkehr klimaneutral transportiert werden und jeder zweite Weg zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt werden. All das soll im Ergebnis bewirken, dass bis zum Jahr 2030 die CO2-Emissionen im Verkehrssektors um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Das….
… klingt sehr ambitioniert.
Monika Burkard: Es sind ehrgeizige Ziele, das stimmt, insbesondere für den Verkehrsbereich. Baden-Württemberg hat sich verpflichtet, weniger Treibhausgase zu verursachen. Und einzelne Erfolge gibt es bereits. Insgesamt ist es natürlich eine ganze Reihe von Maßnahmen, die aus den fünf Zielen abgeleitet wurden. Wir brauchen vor allem ein verlässliches und attraktives Angebot der öffentlichen Verkehrsmittel, sichere und attraktive Infrastruktur für Fahrräder und Pedelecs sowie den Fußverkehr, Carsharing-Angebote und eine gute Vernetzung aller Verkehrsmittel unter Nutzung der Möglichkeiten, die uns die Digitalisierung bietet.
Dazu braucht es vor allem die Bereitschaft der Menschen, die Angebote auch zu nutzen. Muss dabei noch mehr Überzeugungsarbeit geleistet werden?
Monika Burkard: Die begleitende Kommunikation ist ein sehr wichtiger Aspekt bei der Mobilitätswende, das stimmt. Es reicht nicht aus, gute und innovative Angebote zu machen. Wir wollen die Menschen auch auf einer emotionalen Ebene ansprechen, damit sie die unterschiedlichen Mobilitätsangebote kennenlernen und nutzen. Mit der Dachmarke bwegt zeigen wir beispielsweise, wie Klimaschutz ganz einfach geht und laden auf unterschiedlichen Kanälen und Formaten zur selbstverständlichen Nutzung von Bus und Bahn ein. Die Menschen sollen sich wohl fühlen und gerne einsteigen. Um das zu erreichen, sind natürlich entsprechende Rahmenbedingungen notwendig: Es braucht gute Verbindungen, Komfort, ausreichend Platz für Räder und vieles mehr. Letztlich sind es ganz viele Puzzleteilchen, die zusammenpassen müssen, damit der Umstieg auf nachhaltige Mobilität in der Fläche gelingt. Diesen einen großen Hebel, den man nur umzulegen braucht, den gibt es einfach nicht.
Sie haben in den vergangenen vier Jahren den Bereich Neue Mobilität bei der NVBW aufgebaut – wo liegen die inhaltlichen Schwerpunkte?
Monika Burkard: Mit unseren Fachteams in den Themenfeldern Fußverkehr, Ortsmitten, Radverkehr, Mobilitätsdaten und -dienste, Innovationen und dem Kompetenznetz Klima Mobil setzen wir landesweite Projekte und Vorhaben um, um nachhaltige Mobilität vor Ort voranzubringen. Einerseits geht es dabei darum, Fachwissen und Erfahrungen weiterzugeben. Andererseits begleiten wir das Land und Kommunen auch in diesen Themenfeldern mit landesweiten Kampagnen und Unterstützungsprogrammen bei der Kommunikation, um die Vorteile aktiver Mobilitätsformen sichtbar zu machen und auf eine neue Mobilitätskultur hinzuwirken. Besonders hervorzuheben sind hier die RadKULTUR und das Landesprogramm MOVERS – Aktiv zur Schule. Wir unterstützen aber auch ganz konkret bei der Umsetzung vor Ort. Beispielweise können sich Kommunen für einen Fußverkehrs-Check bewerben, der zu einem echten Erfolgsmodell geworden ist. Aktuell haben wir eine Rekordzahl an Bewerbungen vorliegen. Der Schwerpunkt liegt 2024/25 auf sicheren Schulwegen und Schulstraßen.
Wie genau funktioniert so ein Check?
Monika Burkard: Der Fußverkehrs-Check ist ein partizipatives Verfahren, bei dem zunächst bei einer gemeinsamen Begehung die Situation vor Ort bewertet wird. In der Regel laufen dabei neben Bürgerinnen und Bürgern auch Vertreterinnen und Vertreter aus Kommunalpolitik und Verwaltung mit. Anschließend folgen moderierte Workshops, in denen gemeinsam Vorschläge erarbeitet werden, wie die Wege zu Fuß künftig noch attraktiver und sicherer gestaltet werden können. Neben langfristigen infrastrukturellen Maßnahmen werden dabei auch kurzfristig umsetzbare Aktivitäten abgeleitet. Fachleute helfen zudem bei der Planung der Kosten einzelner Maßnahmen und geben Anregungen, wie die Förderung des Fußverkehrs in der Kommune verstetigt werden kann. Auf diese Weise können wir dazu beitragen, den Fußverkehr stärker in das Bewusstsein von Politik, Verwaltung und Bürgerschaft zu rücken und eine neue Geh-Kultur im Land zu entwickeln. Gleichzeitig wird dabei die Bürgerbeteiligung in den jeweiligen Kommunen gestärkt. Dieses Vorgehen ist auch deshalb so erfolgreich, weil dabei ein konkreter Anlass geschaffen wird, sich mit dem Thema Mobilität auseinanderzusetzen. Anlässe machen Veränderungen einfacher möglich: Niemand fährt beispielsweise ohne Grund plötzlich mit dem Rad zur Arbeit, wenn er es anders gewohnt ist. Wenn sich aber die Gelegenheit bietet, bei einer Challenge wie beispielsweise dem Stadt- oder Schulradeln teilzunehmen, kann das einen Teamgeist entfachen und Lust auf eine neue Art von Mobilität machen.
Welche Idee steckt hinter dem Schulradeln und wie viele machen mit?
Das Schulradeln, ein Bestandteil des Landesprogramms MOVERS – Aktiv zur Schule, wurde im vergangenen Jahr zum ersten Mal im Rahmen des STADTRADELNS durchgeführt. Dabei haben sich auf Anhieb 65.525 Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern aus 1.053 Schulen und 399 Kommunen beteiligt und insgesamt rund 9,5 Millionen Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt. Das entspricht zwölf Mal der Strecke von der Erde zum Mond und wieder zurück. Der Auftakt war also ein voller Erfolg, zumal Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich gleich im ersten Anlauf den zweiten Platz hinter Nordrhein-Westfalen belegt hat. Das zeigt, welch großes Potenzial in diesem Bereich steckt, wenn man die richtigen Anlässe schafft. Unter dem Strich hat sich jede vierte Schule im Land beteiligt. In diesem Jahr sind erstmals auch berufsbildende Schulen eingeladen, am Wettbewerb teilzunehmen. Unser Ziel ist dabei auch, mit Schulen und Kommunen ins Gespräch zu kommen und zu bewirken, dass es künftig an allen Schulen im Land zumindest Radabstellplätze gibt.
Gibt es weitere solcher Wettbewerbe und Kampagnen?
Monika Burkard: Ja, im Bereich Fuß- und Radverkehr informieren wir auf dem Fachportal aktivmobil-bw.de regelmäßig über aktuelle Wettbewerbe und Kampagnen. In der NVBW selbst führen wir inzwischen jedes Jahr eine Schritt-Challenge durch. Auch dabei stellen wir regelmäßig fest, welche Dynamik sich auf spielerische Art durch Teamgeist und Wettbewerb entfalten kann. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter legen in dieser Zeit deutlich mehr Wege zu Fuß zurück, nehmen die Treppe statt des Aufzugs oder laufen extra einen Umweg. All das hilft, Mobilitätsroutinen aufzubrechen und ein neues Bewusstsein zu entwickeln.
Moderne Mobilität ist ja auch innovationsgetrieben. Braucht es aus Ihrer Sicht hierfür noch neue Entwicklungen und Angebote?
Monika Burkard: Es gibt vielerorts bereits ein sehr vielfältiges Mobilitätsangebot mit einer Vielzahl an Möglichkeiten. Aus meiner Sicht geht es eher darum, dass wir diese Möglichkeiten stärker nutzen, anstatt uns schwerpunktmäßig auf Innovationen zu fokussieren. Darin liegt ein großes Potenzial: Fast jeder von uns ist jeden Tag unterwegs. Also gibt es bei den meisten von uns auch Wege, die er oder sie anders zurücklegen könnte. Mit unseren Projekten und Angeboten wollen wir zu diesem Wandel beitragen, indem wir Anlässe schaffen, neue Impulse setzen und vor Ort in den Kommunen mit Ideen, Anregungen und Know-how unterstützen. Dafür braucht es natürlich auch eine sichere und qualitativ hochwertige Infrastruktur, was auch eine Neuorganisation des Straßenraums erfordern kann – und Mut von den Entscheidern auf allen Ebenen erfordert.
Welche Möglichkeiten gibt es denn noch, in den Kommunen etwas zu verändern?
Monika Burkard: Einer unserer Schwerpunkte im Bereich Neue Mobilität sind beispielsweise Unterstützungsangebote für attraktive Ortsmitten. Dabei geht es darum, eine lebendige und verkehrsberuhigte Ortsmitte zu gestalten, also mehr Platz für Begegnungen und zum Verweilen zu schaffen – einen Ort, an dem sich alle gerne aufhalten. Genau das wünschen sich viele Menschen im Land: Geh- und Radwege statt Parkplätze und viel befahrene Straßen, Bänke zum Sitzen und Gelegenheiten, um miteinander ins Gespräch zu kommen. In der Realität sieht es häufig noch anders aus. Um zu erfahren und zu erleben, welches Potenzial in einer Ortsmitte stecken kann, können sich Kommunen beispielsweise verschiedenes Stadtmobiliar kostenlos ausleihen, von Baumkästen und Sitzgelegenheiten über Radabstellanlagen bis hin zur grünen Liege-Oase. Eine eigene Servicestelle unterstützt und berät die Kommunen dabei von Beginn an und begleitet sie über den gesamten Prozess. Auch können Kommunen sich die Umgestaltung ihrer Ortsmitte visualisieren oder die aktuelle Situation mithilfe einer kostenlosen Qualitätserfassung analysieren lassen. So können praktische Verbesserungsvorschläge identifiziert werden. Durch einen attraktiven und belebten Ortskern können alle profitieren – der lokale Wirtschaftsstandort genauso wie die Menschen vor Ort.
Bleiben noch die Menschen, die sich Parkplätze direkt vor den Läden in der Innenstadt wünschen….
Monika Burkard: Parkverhalten hat sehr viel mit Gewohnheit zu tun, oftmals stellen Menschen ihr Auto immer am gleichen Ort ab, weil sie die Wege kennen. Oder sie wollen die Kosten für das Parkhaus sparen. Gleichzeitig zeigen die Erfahrungen, dass es in der Regel in den Parkhäusern in den Zentren ausreichend Stellplätze gibt, die aus unterschiedlichen Gründen nicht alle genutzt werden. Das gilt insbesondere auch für die großen Städte wie Stuttgart. Im Kompetenznetz Klima Mobil unterstützen wir dabei, Ruhenden Verkehr neu zu ordnen und vorhandene Kapazitäten optimal zu nutzen, um Raum für andere Mobilitätsformen und eine bessere Aufenthaltsqualität zu schaffen. Wir betreiben die landesweite Mobilitätsplattform MobiData BW und bündeln dafür eine Vielzahl von Daten, die wir unter anderem von den Verkehrsverbünden und anderen Akteuren bekommen. Diese Daten können für Mobilitäts-Apps genutzt werden. Und auch von Kommunen, um Kapazitäten und Bedarfe zu erkennen – auch mit Blick auf Sharing-Angebote und Parkmöglichkeiten.
Also braucht es keine Stellplätze im öffentlichen Raum?
Wie bei allen Fragen der Mobilität geht es auch hier nicht um „ganz“ oder „gar nicht“. Im Vordergrund sollte vielmehr die Frage stehen, um welche Ziele es in der gemeinsamen Planung geht. Die Art und Weise, wie Menschen den öffentlichen Raum erleben, wirkt sich auch auf ihr Verhalten aus. Wenn es Radwege, verkehrsberuhigte Straßen und Sitzgelegenheiten gibt, erzeugt das ein anderes Lebensgefühl als eine viel befahrene Hauptverkehrsstraße. Wenn die Infrastruktur beispielsweise signalisiert, dass Fußgänger und Radfahrer willkommen sind, dann wird nachhaltige Mobilität viel eher zur Selbstverständlichkeit.
Lassen Sie selber auch das Auto stehen?
Monika Burkard: Diese Frage stellt sich in meinem Fall gar nicht, weil ich mit meiner Familie gar kein eigenes Auto habe, sondern wir – je nach Weg – öffentliche Verkehrsmittel und bei Bedarf Carsharing nutzen. Mein Alltagsverkehrsmittel war schon immer das Fahrrad und ich bin sehr froh, dass es mir mein Arbeitsweg ermöglicht, ins Büro zu radeln.
Was fasziniert Sie persönlich am Thema Mobilität?
Monika Burkard: Die ganze Welt ist ständig in Bewegung und wir Menschen sind es auch. Mobilität beinhaltet unglaublich viele Facetten und Möglichkeiten, das hat mich immer schon begeistert und angetrieben. Ich bin in Stuttgart geboren und aufgewachsen und ich erinnere mich beispielsweise gut daran, dass wir uns zum Zeugnis immer etwas wünschen durften. Ein Highlight war eine Netzkarte, mit der wir einen ganzen Tag lang von einer Endhaltestelle zur anderen gefahren sind. Diese Begeisterung und Freude von damals sind mir bis heute geblieben.
Zur PERSON
Monika Burkard ist seit Oktober 2023 Geschäftsführerin der NVBW – Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg, zuvor (seit 2019) war sie Bereichsleiterin Neue Mobilität bei der NVBW. Weitere berufliche Stationen: in Berlin v.a. Standortinitiative „Deutschland – Land der Ideen“ der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft und Stuttgart; Diplom-Regionalwissenschaftlerin, Studium an der Universität zu Köln und Universität Salamanca; einjähriger Auslandsaufenthalt in Chile; 2020-2022 Sprecherin der AG der Kompetenzstellen der Länder zum NaKoMo/MogLeb; Spitzenfrauen Baden-Württemberg; Top 100, PANDA Women Career Contest.
Das Interview führten Alexandra Bading (Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH) und Markus Heffner (Journalist und Redaktionsbüro) im Juli 2024.