Im fünften Teil der Serie erklärt Johannes Pallasch, Sprecher der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur, welche Idee hinter dem Deutschlandnetz steht, was bisher erreicht wurde und was noch passieren muss.
Herr Pallasch, damit die Verkehrswende gelingen kann, muss es ausreichend Ladesäulen für Elektroautos geben. Bis Ende 2023 sollen die 1.000 Schnellladeparks des Deutschlandnetzes in Betrieb sein – Ihr Job dabei ist es, den Ausbau der Infrastruktur zu steuern. Halten Sie die Zielvorgaben für realistisch?
Vor uns liegt in der Tat eine gigantische Aufgabe. Die Transformation vom Verbrenner und einem Tankstellensystem hin zu Elektroautos und damit zu einer Ladeinfrastruktur muss in einer vergleichsweise sehr kurzen Zeit umgesetzt werden. Wir haben dafür nicht hundert Jahre Zeit, wie vielleicht damals bei der Entwicklung und Etablierung des Automobils als Mobilitätsmittel, das Massen bewegt, sondern nur 10, 15 Jahre. Hinzu kommt, dass der Anspruch der Menschen berechtigterweise sehr hoch ist. Sie sind es gewohnt, eine perfekte Infrastruktur zu haben, die verlässlich ist und überall dort zur Verfügung steht, wo sie gebraucht wird. Von diesem Status Quo ausgehend müssen wir nun auf ein komplett neues System umstellen.
Wo liegen die Herausforderungen?
Wenn der schnelle Wechsel vom Verbrenner zum Elektroauto gelingen soll, brauchen wir ein Gesamtsystem, das ganz Deutschland abdeckt. Auch Standorte, die nicht oder noch nicht so bald erschlossen werden würden, wenn es rein nach Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit geht. Wo es viel Verkehr gibt und viele Ladevorgänge zu erwarten sind, kann auch viel verdient werden. Wenn man mit dem Ausbau nur der Marktlogik folgt, deckt man vielleicht 80 Prozent ab. Das wissen wir aus anderen Bereichen, etwa dem Mobilfunknetz. Wir brauchen aber hundert Prozent. Daher haben wir das Deutschlandnetz entwickelt, das diesen Anspruch erfüllen und auch die „weißen Flecken“ auf der Ladelandkarte schließen soll.
Wie viele Ladepunkte gibt es aktuell bundesweit?
Derzeit haben wir bundesweit mehr als 70.000 öffentliche Ladepunkte, davon mehr als 11.000 sogenannte Schnellladepunkte. Jede vierte dieser 70.000 öffentlichen Ladepunkte wurde übrigens mit Hilfe von Mitteln aus Förderprogrammen des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr errichtet. Das reine Zählen dieser Ladepunkte ist aber nicht zielführend. Aussagekräftiger ist die installierte Leistung, die dahintersteht. Dabei müssen wir vom Ende her denken. Bis zum Jahr 2030 sollen rund 15 Millionen Elektrofahrzeuge in Betrieb sein. Für diese 15 Millionen Fahrzeuge brauchen wir etwa 30 Gigawatt an installierter Leistung in Form von öffentlicher Ladeinfrastruktur. Nach heutigem Stand haben wir rund 1,8 Gigawatt.
Das klingt nicht sehr vielversprechend, zumal auch die 15 Millionen Fahrzeuge ja nicht das Ende der Fahnenstange sind.
Genau darin liegt die Herausforderung, möglichst weit in die Zukunft zu schauen und die Entwicklung vorherzusehen. Um den Ausbau bedarfsorientiert und zielgerichtet planen und steuern zu können, brauchen wir eine sehr differenzierte Betrachtungsweise. Die Frage ist schlicht, an welchem Standort welche Ladeinfrastruktur benötigt wird. Mit einem Schnellladepunkt kann ich pro Tag viel mehr Autos versorgen. Das ist wichtig, weil der Platz gerade in den Städten knapp ist und man nicht unbegrenzt Ladeplätze ausweisen kann. Entscheidend ist, welche Gesamtenergiemenge wir als Bedarf haben und welche Ladeleistung man dafür wo bereitstellen muss. Eine Kommune muss genau wissen, was auf sie zukommt und wie die Ausbaustufe genau aussieht. Das ist sinnvoller als nur eine Zahl vorzuschreiben, wie es früher gemacht wurde: Eine Ladesäule für zehn E-Autos. Das ist lange überholt.
Dennoch ist Deutschland ein gutes Stück von seinen gesetzten Zielen entfernt. Woran liegt das und was muss anders werden?
Zunächst einmal muss man sich eines klarmachen: Ohne Elektromobilität sind unsere Klimaschutzziele nicht zu erreichen. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch Gedanken darüber machen, wie viel Verkehr wir künftig haben wollen und werden. Im zweiten Schritt müssen wir dann dafür sorgen, dass die Antriebe der eingesetzten Verkehrsträger emissionsfrei sind. Woran wir als Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur arbeiten, ist keine Verkehrswende, sondern eine Antriebswende. Dabei müssen wir genau im Blick haben, was wir morgen und übermorgen brauchen. Wir sind daher in engem Austausch mit allen Akteuren, etwa Industrie, Politik, Kommunen und den E-Auto-Nutzerinnen und -Nutzern, um ein Gesamtbild zu haben, was auf uns zukommt und wie sich der Markt entwickeln wird.
Und dieses Gesamtbild muss immer wieder neu justiert werden?
Es fließen immer wieder neue Erkenntnisse ein, die Anpassungen nach sich ziehen. Die Grundausrichtung, die wir im ersten Masterplan Ladeinfrastruktur festgelegt haben, gilt aber unverändert. Auf dieser Basis hat das Bundesverkehrsministerium mit unserer maßgeblichen Unterstützung nun den Masterplan Ladeinfrastruktur II der Bundesregierung aufgelegt, der etliche Ergänzungen und Präzisierungen enthält, beispielsweise bei den Fristen für die Umsetzung. Die Zahl an festgeschriebenen Maßnahmen hat sich auf rund 70 erhöht. Beispielsweise wollen wir es den Unternehmen erleichtern, auf Parkplätzen Ladepunkte anzubieten. Und wir setzen einen Schwerpunkt auf das Errichten von Ladeinfrastruktur in dicht besiedelten Gebieten und an Tankstellen. Eines muss dabei aber klar sein: Der Staat allein wird den Ladeinfrastrukturausbau nicht stemmen können. Und das soll er auch gar nicht. Das Primat des Ladeinfrastrukturausbaus liegt bei der Wirtschaft. Unsere Ziele zu erreichen, wird nur gelingen, wenn alle Akteure an einem Strang ziehen, also etwa auch die Energie- und Automobilwirtschaft sowie insbesondere die Kommunen, die neben der Wirtschaft eine tragende Rolle spielen, weil sie vor Ort an entscheidender Stelle für das Tempo der Umsetzung sitzen.
Viele Kommunen scheinen das Thema aber immer noch nicht richtig ernst zu nehmen. Laut Statistik gibt es nach wie vor in jeder zweiten Kommune keine einzige Ladesäule. Manche verweisen beim Thema Ladeinfrastruktur wiederum auf das Land oder den Bund.
Der Bund kann Förderprogramme auflegen, politische Weichen stellen, für die Rahmenbedingungen sorgen und in vielen Bereichen beraten und unterstützen. Genau das machen wir auch. Wir wollen nicht, dass jede Kommune bei der Planung und Anschaffung von Ladepunkten bei null anfangen muss, sondern auf die reichhaltigen Erfahrungen und das vorhandene Know-how zurückgreifen kann. Die Leitstelle hat zum Beispiel im November 2022 die E-Learning-Plattform LadeLernTOOL veröffentlicht, die frei und kostenlos zugänglich ist. Sie richtet sich vor allem an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kommunen und soll sie mit dem nötigen Wissen zum Ladeinfrastrukturausbau ausstatten.
Für das Tempo beim Aufbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur vor Ort tragen die Kommunen mit Verantwortung, das fällt in den Bereich der Daseinsvorsorge und betrifft all jene Menschen, die keine privaten Lademöglichkeiten haben. Und davon gibt es viele, nicht nur im Stuttgarter Westen. Es ist zum Beispiel klar Aufgabe der Kommunen, Flächen für Ladesäulen auszuweisen und deren Errichtung zu genehmigen. Wir erwarten nicht, dass Kommunen Ladeinfrastruktur selbst aufbauen und betreiben, wie stellenweise behauptet wird. Aber wir erwarten, dass sie sich für eine schnelle Errichtung der vor Ort nötigen Ladeinfrastruktur einsetzen.
An einer öffentlichen Ladestation zu Laden bedeutet bisher, dass man in der Regel einen Vertrag mit dem jeweiligen Betreiber abschließen muss, um günstig laden zu können. Viele sind genervt davon, dass das Bezahlen an öffentlichen Ladesäulen so kompliziert ist. Warum kann man nicht einfach überall mit Kredit- oder EC-Karte zahlen?
Genau diese Frage beschäftigt uns intensiv und sie betrifft auch die Ladesäulenverordnung. Tatsächlich sollen die Ladeinfrastrukturbetreiber ab Juli 2023 die Kartenzahlung an allen neu errichteten Ladepunkten ermöglichen. Es gibt grundsätzlich verschiedene mögliche Varianten für das so genannte Ad-hoc-Laden und spontane Bezahlen: Ein Kartenterminal mit PIN-Pad und Lesegerät beispielsweise oder das browserbasierte Zahlen mit einem internetfähigen Gerät, etwa einem Smartphone. Der Vorteil der browserbasierten Lösung ist, dass sie schnell und kostengünstig an nahezu jedem Ladepunkt umgesetzt werden kann und vielfach auch schon umgesetzt ist. Ein einheitliches Bezahlsystem für Ladevorgänge könnte also schnell erreicht werden, ohne das Tempo beim Aufbau neuer Ladesäulen zu gefährden. Ich kann mir langfristig auch die Lösung vorstellen, bei der über das Erkennen des Fahrzeugs automatisch abgerechnet wird. Das ist heute schon technisch möglich, zumindest bei bestimmten Modellen und Ladestationen. Aber feststeht: Der Bezahlvorgang muss im Sinne der Kunden und der Akzeptanz weiter vereinfacht werden.
In Zeiten der Energiekrise wird das Laden immer teurer, im öffentlichen Raum mitunter sogar mehr als zu Hause. Gefährdet das die ambitionierten Ziele der Bundesregierung?
Die gestiegenen Strompreise beschäftigen uns, weil sie sich auf das Tempo beim Hochlauf der Fahrzeuge auswirken könnten. Wer keine Möglichkeiten hat, zu Hause zu laden, idealerweise noch mit eigener PV-Anlage auf dem Dach, ist auf die öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen, wo der Strom tendenziell teurer ist. Ich bin aber überzeugt davon, dass sich die Strompreise bald wieder normalisieren werden. Entscheidend sind am Ende die Kosten über die gesamte Lebensdauer eines Fahrzeugs und da spielen neben den Kosten für die Antriebsenergie weitere Faktoren eine Rolle, wo E-Autos günstiger sind als Verbrenner, beispielsweise bei Wartung und Verschleiß.
Künftig sollen nicht nur Autos, sondern auch Lastwagen elektrisch unterwegs sein. Kann auch der Schwerlastverkehr seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten?
Das Thema batterieelektrische Lkw hat enorm an Fahrt aufgenommen. Wir rechnen damit, dass bereits im nächsten oder spätestens übernächsten Jahr die ersten E-Lastwagen auf langen Strecken unterwegs sind. Auch für sie braucht es etwa alle 60 Kilometer unkomplizierte Lademöglichkeiten, insbesondere entlang von Autobahnen. Der Vorteil ist, dass sich die Ströme des Lkw-Verkehrs gut berechnen lassen, etwa über die Mautdaten, die uns von Toll Collect zur Verfügung gestellt werden. Eine Herausforderung ist, dass die Standplätze schon jetzt nicht ausreichen. Der Bund wird daher eigene Flächen zur Verfügung stellen. Eine Idee ist zudem, brachliegende Flächen der Bahn für Ladesäulen zu nutzen. Eine zusätzliche Herausforderung dabei ist, dass die Lkw-Ladepunkte mitunter in das Hochspannungsnetz eingebunden werden müssen. Es muss daher gemeinsam mit den örtlichen Netzbetreibern frühzeitig mit der Planung begonnen werden, um auch die Energieversorgung an den Standorten sicherzustellen.
Alles in allem also viele Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt!
Ich denke, dass wir einfach viel größer als bisher denken müssen. Alles steht und fällt mit der Ladeinfrastruktur, die zuverlässig überall dort zur Verfügung stehen muss, wo sie benötigt wird. Gemeinsam mit allen relevanten Akteuren müssen wir dieses Ziel mit aller Kraft verfolgen. Denn wenn wir im Klimaschutz entscheidend vorankommen wollen, dann müssen wir den Ausbau massiv beschleunigen.
Zur PERSON
Johannes Pallasch ist Wirtschaftsgeograf und MBA. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit den Themen Elektromobilität und Ladeinfrastruktur. Er ist seit 2012 bei der NOW GmbH tätig und hat seit Anfang 2020 die Rolle des Sprechers im Leitungsteam der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur inne. In der Leitstelle ist er insbesondere für die Bereiche Strategie und Kommunikation zuständig.
Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur der NOW GmbH
Im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr plant, unterstützt und begleitet die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur unter dem Dach der bundeseigenen NOW GmbH seit 2020 die Aktivitäten zum Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland. Die Leitstelle unterstützt beim Umsetzen und Fördern. Um den Bedarf an Ladeinfrastruktur besser zu verstehen, erfasst sie relevante Daten, sie vernetzt alle wichtigen Akteure und gibt ihr Wissen weiter. Für ihre Aufgaben entwickelt die Leitstelle einzigartige digitale Werkzeuge wie das StandortTOOL, das FlächenTOOL und das LadeLernTOOL. Das Ziel ist eine flächendeckende und bedarfsgerechte Ladeinfrastruktur für ganz Deutschland. Die Nutzerinnen und Nutzer hat die Leitstelle dabei immer im Blick.
Aktuelle Förderprogramme des Bundes zum Aufbau von LIS für Elektromobilität:
- Projekt SAFE, https://safe-bw.net/
- Projekt LINOX BW: https://www.linox-bw.de/ und Broschüre
- Masterplan Ladeinfrastruktur II der Bundesregierung: https://nationale-leitstelle.de/wp-content/uploads/2022/10/Masterplan-LadeinfrastMasterplan Ladeinfrastruktur II
- E-Learning-Plattform LadeLernTOOL: LadeLernTOOL
- Leitfaden “Einfach laden in der Kommune“: https://nationale-leitstelle.de/wp-content/uploads/2022/07/Leitfaden-Ladeinfrastruktur-Kommunen_web.pdf
- Leitfaden „Einfach laden an Wohngebäuden“: Einfach-laden-an-Wohngebaeuden_Leitfaden.pdf (nationale-leitstelle.de)
Informationen zum Deutschlandnetz
Das Deutschlandnetz basiert auf zwei Ausschreibungen für Schnellladeparks: Am 1. Oktober 2021 hat die Zentralstelle für Vergaben und externe Leistungen des BMDV die Vergabeunterlagen zur Ausschreibung von 900 Standorten im ländlichen, suburbanen und urbanen Raum in 23 Losen in sechs Regionen veröffentlicht. Zusätzlich veröffentlichte am 20. Dezember 2021 die Autobahn GmbH die Ausschreibung für 200 Standorte in sechs Losen an unbewirtschafteten Rastanlagen. Insgesamt geht es um ca. 8.000 Schnellladepunkte mit 200 kW Leistung in Schnellladeparks mit 4, 8, 12 oder 16 Ladepunkten.
Weitere Infos: https://nationale-leitstelle.de/foerdern/deutschlandnetz/
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Das Interview führten Alexandra Bading (Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH) und Markus Heffner (Journalist und Redaktionsbüro) im September 2022.