„Das Thema Nachhaltigkeit kommt von allen Seiten!“

Mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes hat die Bundesregierung die Vorgaben verschärft und das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 verankert. Bereits bis 2030 sollen die Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Die höheren Ambitionen wirken sich auf alle Sektoren aus – umgesetzt werden müssen die CO2-Minderungsziele unter anderem in den Kommunen und Unternehmen der Region Stuttgart.

Alisa Utz und Hannah Witting, Bereichsleiterinnen bei der B.A.U.M. Consult GmbH München/Berlin

Hannah Witting und Alisa Utz von B.A.U.M. Consult erklären im Interview, wie aus Sicht der auf Nachhaltigkeit spezialisierten Beratungsagentur der Stand der Umsetzung ist, welche Weichen für eine zukunftsfähige Entwicklung zu stellen sind und wo Schwierigkeiten überwunden werden müssen.

Frau Witting, vor kurzem hat sich die Ampelkoalition auf Klimaschutz-Beschlüsse geeinigt, über die seither viel diskutiert wird. Stimmen aus Ihrer Sicht die Rahmenbedingungen, um die ambitionierten und gesetzlich verankerten Klimaschutzziele zu erreichen?

Hannah Witting: Als Beratungsgesellschaft, die sich für eine zukunftsfähige und nachhaltige Entwicklung einsetzt, wünschen wir uns natürlich einen guten gesetzlichen Rahmen, der in allen Bereichen zur Nachhaltigkeit leitet. Es braucht dabei insbesondere klare Vorgaben für Unternehmen – und die dürfen ambitioniert sein. Unabhängig von den nationalen Bestimmungen gibt es aber seitens der EU bereits sehr ambitionierte Vorgaben, die auch konsequent durchgezogen werden.

Zum Beispiel?

Hannah Witting: Beispielsweise wird aktuell die Ökodesign-Richtlinie überarbeitet und verschärft. Sie zielt unter anderem darauf ab, die Kreislauffähigkeit zu verbessern z.B. durch das „Recht auf Reparatur“. Unternehmen müssen bspw. Ersatzteile für eine bestimmte Zeitspanne vorhalten. Gleichzeitig wurde von der EU-Kommission eine neue EU-Richtlinie auf den Weg gebracht, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Sie wiederum regelt die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, die demnach bereits ab 2026 stark erweitert werden. Zum Reporting nichtfinanzieller Kennzahlen gehören künftig auch die CO2-Unternehmensemissionen. Das Reporting dazu muss verpflichtend im Lagebericht sowie nach klar definierten EU-Standards erfolgen. Zudem wird aktuell auch noch über die Green Claims Directive diskutiert. Dabei geht es um umweltbezogene Werbung und Kommunikation, für die ein rechtsverbindlicher Mindeststandard eingeführt werden soll. Begriffe wie „klimaneutral“ oder CO2-neutral“ wird es in diesem Kontext dann künftig vermutlich nicht mehr geben.

Aber der Begriff oder Varianten davon finden sich zwischenzeitlich fast auf jeder Verpackung…

Hannah Witting: Genau das ist das Problem. Die EU will mit dieser Richtlinie die Verbraucher und auch Unternehmen vor Greenwashing-Praktiken schützen und den Wildwuchs von Öko-Siegeln unterbinden. Pauschale Umweltaussagen wie „klimafreundlich“ und auch „klimaneutral“ dürfen demnach nicht mehr ohne weiteres verwendet werden, wenn diese Aussagen nicht eindeutig quantifizierbar sind. Das wird sicherlich dazu führen, dass die Klimaneutralitätslogos teilweise wieder abgeschafft werden. Einige Hersteller haben ihre Umweltsiegel bereits jetzt schon zurückgezogen.

Was bedeutet Klimaneutralität im Unternehmenskontext eigentlich? Muss ein Betrieb beispielsweise klimaneutral produzieren oder sind auch Kompensationen möglich?

Hannah Witting: Grundsätzlich kursieren ganz verschiedene Begriffe. Klimaneutral, CO2-neutral oder auch treibhausgasneutral, Netto-Null-Emissionen oder Net Zero. Die Begriffe werden im Unternehmenskontext synonym verwendet und meinen unterm Strich: Nullemissionen. B.A.U.M. arbeitet aktuell an einer Studie des Umweltbundeamtes mit, um die Begriffe klar zu definieren. Emissionsfreiheit werden die Unternehmen auch bis 2050 nicht erreichen. Für die verbleibenden Emissionen kommt als letzter Schritt daher deren Ausgleich in Betracht, also besagte Kompensation. Bisher gibt es noch keinen Standard zu Klimaneutralität in Unternehmen, das ändert sich aber gerade mit der neuen ISO-Norm 14068. Sie legt Anforderungen und Grundsätze fest, die bei kommunikativer Nutzung des Begriffs „Klimaneutralität“ nachzuweisen sind. Ende des Jahres oder Anfang 2024 soll die finale Version vorliegen. Unternehmen werden dann künftig eine Klimabilanz nach einem weltweiten Standard errechnen müssen und einen konkreten Reduktionsplan vorlegen, also einen Fahrplan, wie man bis 2050 auf Klimaneutralität kommen will. Erst in einem dritten Schritt sollen dann Kompensationen möglich sein, auch bekannt unter dem Begriff Offsetting, das meint den Kauf von Emissionszertifikaten, die in der Regel aus Klimaschutzprojekten in Drittstaaten generiert werden. Grundsätzlich verlangt die ISO-Norm aber eine Reduktion auf null. Das wird sehr herausfordernd für die Unternehmen, weil es nicht wie bisher beispielsweise nur die Gebäudetechnik betrifft, sondern alle Prozesse. 

Ein Hebel, um die CO2-Bilanz der Unternehmen zu verbessern, ist das betriebliche Mobilitätsmanagement, Frau Utz. Welche Bedeutung hat dieses Instrument aktuell im gesamten Bereich nachhaltigen Wirtschaftens?

Alisa Utz: Mit der bereits angesprochenen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wird die betriebliche Mobilität explizit als Scope 3 Emissions-Kategorie benannt, wobei „Geschäftsreisen“ und „Mitarbeitendenmobilität“ unterschieden werden. Der Fuhrpark, den wir im Rahmen des betrieblichen Mobilitätsmanagement oft mit beleuchten, fällt unter Scope 1. Während die Scope 1 und Scope 2 Emissions-Kategorien mit den zugehörigen direkten bzw. indirekten Emissionen Pflichtbestandteile nach dem Greenhouse Gas Protocol sind, sind die Scope 3 Emissions-Kategorien (noch) kein obligatorischer Bestandteil einer Unternehmensbilanz. Neben Geschäftsreisen und Mitarbeitendenmobilität finden sich hier beispielsweise andere vorgelagerte Kategorien wie „Emissionen aus der Energiegewinnung“ oder „Gemietete Vermögenswerte“ sowie nachgelagerte Kategorien wie die „Weiterverarbeitung verkaufter Produkte und Dienstleistung“ oder die „Nutzungsphase verkaufter Produkte“. Diese herausgegriffenen Beispiele zeigen bereits, dass das Thema betriebliche Mobilität nur eine von vielen Stellschrauben im nachhaltigen Wirtschaften ist. Gerade in einigen Bereichen der Dienstleistungsbranche, wie etwa Agenturen, Geldinstitute, Versicherungen, können die Scope 3 Emissionen jedoch bis zu einem Vielfachen der Scope 1 und Scope 2 Emissionen ausmachen und insbesondere die Geschäftsreisen und Mitarbeitendenmobilität deutlich zu Buche schlagen.

In der Gesamtbetrachtung sieht es im Bereich der betrieblichen Mobilität in Deutschland aktuell folgendermaßen aus: im Bereich der Alltagsverkehre entfallen 34 % der Wege und 42 % der Personenkilometer auf Wege zur Arbeitsstätte oder Ausbildungsstätte sowie auf Wege für dienstliche Zwecke. Auf Arbeitswegen nutzen knapp 70 % der Berufspendlerinnen und Berufspendler konventionell motorisierten Individualverkehr, Bus und Bahn bzw. das Fahrrad werden lediglich von 13 % bzw. 10 % genutzt und das zu Fuß gehen bildet mit 7 % das Schlusslicht.

Das heißt, hier ist aus unserer Sicht noch einige Luft nach oben für eine Vermeidung von Verkehren, für eine Verlagerung hin zu Verkehrsmitteln aus dem Umweltverbund bzw. für eine verträgliche Abwicklung des Verkehrs, etwa durch den Umstieg auf alternative Antriebe. Und genau hier setzt das betriebliche Mobilitätsmanagement mit seinen Handlungsfeldern und Maßnahmen an. Aus unserer alltäglichen Arbeit mit Unternehmen kennen wir viele gute Beispiele, bei denen die betriebliche Mobilität durch gezielte Förderung und verschiedene Angebote nachhaltiger geworden ist.

Gilt diese Erkenntnis bundesweit oder gibt es Regionen, die bereits weiter sind?

Alisa Utz: Grundsätzlich wäre es sicher spannend, flächendeckend zu erheben, wie viele Unternehmen in Deutschland sich bereits systematisch mit einer nachhaltigen Mobilität beschäftigen, inwieweit das Thema in den Organisationsstrukturen verankert ist und wie es konkret angegangen wird. Mit Blick auf einen Vergleich aus geografischer Sicht bleibt zu vermuten, dass die Aktivitäten im Bereich betriebliches Mobilitätsmanagement und deren Umsetzung durchaus mit der jeweiligen Förderlandschaft korrelieren. Konkrete Zahlen sind uns dazu aber nicht bekannt. Gleichwohl gibt es natürlich Bundesländer und Regionen sowie auch Kommunen, die eine Vorreiterrolle einnehmen: beispielsweise in Nordrhein-Westfalen das IHK-Netzwerkbüro Betriebliche Mobilität NRW und das Zukunftsnetz Mobilität NRW mit entsprechenden Angeboten, Förderungen und Fortbildungen sowie dem Landeswettbewerb „ways2work“ in Kooperation mit dem Verkehrsministerium NRW; das Land Hessen in Kooperation mit dem Integrierten Verkehrs- und Mobilitätsmanagement Region Frankfurt RheinMain mit dem Beratungsprogramm „Besser zur Arbeit“, vormals „Südhessen effizient mobil“, und der Initiative „bike + business“ und nicht zuletzt natürlich auch das Land Baden-Württemberg mit dem zweistufigen Förderprogramm B²MM. In all diesen Bundesländern wird Mobilitätsmanagement seit einigen Jahren konsequent gefördert, teilweise auch von den Industrie- und Handelskammern. Die Angebote reichen dabei von der Qualifizierung bis zur Umsetzung. Die gleiche Entwicklung lässt sich auch auf kommunaler Ebene beobachten, etwa in der Region Stuttgart oder in Stadt und Landkreis München, wo zwischenzeitlich weit mehr als hundert Unternehmen betriebliches Mobilitätsmanagement fest in der Struktur verankert und zahlreiche Angebote entwickelt haben. Und auch auf Bundesebene gibt es bereits einschlägige Förderprogramme: erst kürzlich startete im Rahmen der seit dem Jahr 2017 laufenden Initiative „mobil gewinnt“ wieder eine neue Förderphase, in der das Bundesministerium für Digitales und Verkehr die kommenden zwei Jahre wieder Unternehmen in der Einführung und Umsetzung eines betrieblichen Mobilitätsmanagement unterstützen wird. Grundsätzlich lässt sich daher sagen, dass gezielte Förderung und Vernetzung die Treiber sind, die den Weg zu einer nachhaltigen Mobilität in Unternehmen und Einrichtungen ebnen und das Thema auch weiter in die Fläche bringen.

Wenn betriebliches Mobilitätsmanagement nur einen kleineren Teil zur CO2-Reduktion beiträgt, welcher Bereich in den Unternehmen leistet derzeit dann den größten Beitrag?

Hannah Witting: In absoluten Zahlen mag es vielleicht stimmen, dass eine nachhaltige Mobilität in Betrieben nicht den größten Beitrag leistet. Dafür übernimmt dieser Bereich aber eine sehr wichtige Rolle bei der Bewusstseinsbildung. Mobilität betrifft jeden und jeder Einzelne hat sein eigenes Verhalten, inklusive der jeweiligen Gewohnheiten. Wenn der Kollege auf einmal mit zunehmender Begeisterung mit dem Fahrrad kommt oder innerhalb einer Abteilung Fahrgemeinschaften gebildet werden, ist das eine sichtbare und spürbare Veränderung, die sich verbreitet und andere sensibilisiert für ihr eigenes Mobilitätsverhalten und mögliche Veränderungen. Und da sind wir beim Kern des Ganzen, der Verhaltensänderung, die nur sehr mühsam zu erreichen ist. Das Auto ist für viele immer noch sehr prestigeträchtig und die Bahn als Alternative oft noch negativ besetzt. Daher kommen im Bereich der Unternehmen auch noch sehr viele Inlandsflüge zusammen. Da gibt es also noch viel zu tun und die praktischen Beispiele aus dem Mobilitätsmanagement helfen bei der Wahrnehmung und Verbreitung des Nachhaltigkeitsgedankens.

Alisa Utz: Verhalten zu ändern ist das Kernthema und der Knackpunkt im Bereich Mobilität. Es gibt oft viele Angebote, die aber nicht helfen, wenn sie denn nicht genutzt werden. Es muss also Überzeugungsarbeit geleistet werden, wobei immer auch mit Gegenwind und Rückschlägen zu rechnen ist. Daher versuchen wir die Unternehmen dafür zu sensibilisieren, dass dies dazugehört und der Weg in die Nachhaltigkeit meist nicht geradlinig verläuft. Vor allem am Anfang ist es wichtig, auch kleine Erfolge sichtbar zu machen und herauszustellen, bis sich der Prozess verstetigt hat. Im ersten Jahr entscheiden sich vielleicht vier Beschäftige für ein persönliches Dienstradangebot, im zweiten zehn und dann werden es immer mehr. Man braucht einen langen Atem. Dazu kommt, dass jeder Einzelne ganz unterschiedlich ist in seinem Mobilitätsverhalten. Daher ist es wichtig, ein möglichst breites Portfolio an Möglichkeiten anzubieten und die jeweiligen Bedürfnisse und Bedenken zu berücksichtigen. Es braucht viel Fingerspitzengefühl, um langfristig eine Verhaltensänderung zu erreichen.

Hannah Witting: Genau dafür wurde ja das Change-Management-Konzept entwickelt. Darin gibt es drei Akteure. Zum einen den so genannten Sponsor, also die Führungsebene, die die Ressourcen frei gibt und als Vorbild gelten muss. Das hat Signalwirkung und verleiht dem ganzen Prozess den richtigen Schwung. Der zweite Akteur ist der Change Agent, also jener Kreis an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die die Dynamik von Veränderungsprozessen kennen und verstehen und aus unterschiedlichen Motiven für Wandel aufgeschlossen sind. Sie sind die Kräfte, die wir als Beratung unterstützen müssen, weil sie die Veränderung letztlich gestalten. Und dann gibt es die große Gruppe derjenigen, die wir mitziehen müssen durch Instrumente wie Kommunikation und Wertschätzung. Wichtig ist dabei auch, immer den Prozess zu sehen. Wir reden nicht von einem bestimmten Endzustand, sondern einer ständigen Bewegung. Die Gesellschaft bewegt sich in diesem Transformationsprozess auf etwas hin, das wir heute noch gar nicht kennen und das wird immer so weiter gehen. Es wird immer neue technologische Entwicklungen und Innovationen geben, immer neue Themen, die wichtig sind.

Fallen die Mobilitätsberatungen, die von der öffentlichen Hand initiiert werden, überwiegend auf fruchtbaren Boden, also kommt tatsächlich auch etwas heraus nach einer Erstberatung?

Alisa Utz: Das Wichtigste im Bereich der Mobilitätsberatungen ist, dass am Ende nicht nur Analysen, Ergebnisse und Ansätze festgehalten werden, sondern auch konkrete Weichen gestellt und Verantwortlichkeiten benannt werden. Ideal ist es, wenn das Thema direkt in der Organisationsstruktur verankert wird und damit auf der strategischen Ebene ankommt, wo es weitergetrieben werden kann. Darauf muss der Prozess der Erstberatung abzielen. Nach unserer Erfahrung sind diese Beratungen dann ein gutes Instrument, um ein Thema präsenter zu machen, wenn der Fokus richtig gesetzt wird.

Hannah Witting: Und wenn die richtigen Personen am Tisch sitzen. Wenn nämlich die Geschäftsführung vertreten ist, sich alles anhört und die Notwendigkeit erkennt, dann wird sie anschließend auch ihre Rolle als Sponsor einnehmen. Das hat dann oftmals eine Initialwirkung in einem Unternehmen.     

Und gibt es nun einen bestimmten Unternehmensbereich, der aktuell die größten zählbaren Effekte beim Klimaschutz erzielt?  

Hannah Witting: Die möglichen Einsparpotentiale und Maßnahmen sind sehr unternehmensspezifisch und hängen naturgemäß insbesondere von der Geschäftstätigkeit ab. In einem produzierenden Unternehmen kommen sehr hohe Energieverbräuche an den Standorten zusammen, also findet sich in diesem Bereich meist auch ein hohes Einsparpotenzial. Bei eingekauften Produkten wiederum gibt es meist eine sehr ausdifferenzierte Lieferkette, hinter der komplexe logistische Strukturen stehen, oft weltweit. Als Kontrast dazu liegt beispielsweise bei Banken das Potenzial zur CO2-Reduktion in den Investments. Also wo das Geld investiert wird, welche Warenströme unterstützt werden, in welchem Bereich die Bank investiert – und wo nicht. Stichwort Kohlekraft. Zudem hängt es natürlich auch an der Philosophie und den Möglichkeiten der Unternehmen, ob das Thema Mobilität angegangen oder ob eine PV-Anlage auf dem Dach montiert wird. Jeder macht, was er kann.

Und was machen die Kommunen – ist das Thema Nachhaltigkeit angekommen in den Verwaltungen, Strukturen, Köpfen?

Alisa Utz: Es gibt viele positive Beispiele, in der Fläche besteht aber sicherlich noch einiger Handlungsbedarf. Vor allem im Bereich der Kommunen zwischen 20.000 und 100.000 Einwohnern, also den so genannten Mittelstädten, die den Großteil der Kommunen in Deutschland ausmachen. Bei ihnen sind Themen wie Energieeffizienz, Klimaschutz oder Mobilitätsmanagement oft noch nicht in ausreichendem Maß institutionell und organisatorisch verankert wie etwa in den großen Metropolen, die eigene Referate oder Ämter für diese Themenbereiche haben. Mit zielgerichteter Förderung lässt sich aber auch dabei einiges bewirken, wie etwa das Beispiel der Klimaschutzmanager:innen zeigt. Dank der staatlichen Förderung ist diese Position zwischenzeitlich gut verankert in den Verwaltungen. Beim Thema Mobilität ist dieses Potenzial längst noch nicht ausgeschöpft.

Müsste das nicht längst überall angekommen sein, wie viel an der Mobilität hängt?

Alisa Utz: Dass in diesem Bereich etwas getan werden muss, ist sicherlich überall angekommen und es wird teilweise ja auch entsprechend angegangen, meist ist auch eine Person in der Verwaltung beauftragt mit diesem Thema. Das Thema Mobilitätsmanagement hat aus kommunaler Sicht aber eine enorme thematische Bandbreite und Vielfalt: neben der betrieblichen Mobilitätsberatung sind hier auch auch Themen wie der Ausbau der Fuß- und Radverkehrsinfrastruktur, der Aufbau von Sharing-Angeboten, die Barrierefreiheit des ÖPNV, die Verkehrsberuhigung und das Parkraummanagement verortet. Das sind alles drängende Themen, die gerade in den mittelgroßen Kommunen häufig von einer Person verwaltet und koordiniert werden müssen – und da hat das betriebliche Mobilitätsmanagement häufig einfach nicht die oberste Priorität.

Hannah Witting: Im Grunde beschreibt das auch die Situation in den Unternehmen. Meist gibt es jemanden, der für Mobilität zuständig ist, für Energiemanagement, für Diversität oder Geschlechtergerechtigkeit. Das sind aber alles Themen, die sämtliche Bereiche des Unternehmens betreffen oder übertragen sämtliche Handlungsfelder in der Kommune. Es wäre daher wünschenswert, dass diese Funktionen auch entsprechend in der Organisationsstruktur abgebildet werden und das Thema Nachhaltigkeitsmanagement als Stabsstelle direkt an der Führungsebene hängt. Diese Zuordnung ist notwendig, um alle Themen zu bündeln und die Schnittstellen zu sehen. Wenn im Rahmen des betrieblichen Mobilitätsmanagements beispielsweise das Dienstradleasing für die Beschäftigten eingeführt werden soll, hat das viele Aspekte. Es braucht Ladeinfrastruktur für E-Bikes und Abstellanlagen, eine Kampagne muss aufgesetzt werden, vielleicht ist eine Betriebsversammlung notwendig und nicht zuletzt müssen die Kosten bedacht werden. Um all das klären zu können, braucht es einen direkten Zugang zur obersten Führungsebene, egal ob das der Vorstand, die Geschäftsführung oder ein Leitungskreis ist. Denn nur dort können solche Entscheidungen getroffen werden. 

Alisa Utz: Das kann ich aus Sicht der Kommunen nur bestätigen. Es ist ganz entscheidend, wo die Stelle des Mobilitätsmanagement in der Organisationsstruktur angesiedelt und wie viel Entscheidungskompetenz damit verbunden ist. Insbesondere bei kleineren Kommunen sind Stellen wie Klimaschutzmanagement oder Mobilitätsmanagement ganz unterschiedlich verortet, meist aber ohne direkte Befugnisse. Das hat wiederum Einfluss darauf, wie Vorhaben umgesetzt werden können. Oftmals bleiben diese im Pilotprojektstatus stecken und es geht nicht weiter, weil das Zuständigkeits- und Kompetenzgerangel zwischen den verschiedenen Referaten und Ämtern in einer Verwaltung die notwendigen weiteren Schritte blockiert. Jeder ist ja für seinen Bereich verantwortlich und will sich auch nicht reinreden lassen. Daher wäre es wichtig, für diese zentralen Zukunftsthemen Stabsstellen mit möglichst viel Entscheidungskompetenzen zu schaffen.

Hannah Witting: Und es gibt noch einen weiteren Aspekt, der dafür spricht. Viele Unternehmen machen schon sehr viel für Nachhaltigkeit und haben etliche einzelne Maßnahmen umgesetzt, machen sich aber andererseits kaum Gedanken über die grundsätzliche Strategie. Es ist aber wichtig und notwendig, die gesamte Unternehmensstrategie in Richtung Nachhaltigkeit auszurichten. Das ist ohnehin eine Anforderung, die über die gesetzlichen Vorgaben auf die Unternehmen zukommen wird. Und ein solch ganzheitlicher Ansatz ist auch notwendig, um in die Transformation zu kommen. Denn die Umstellung muss im Kerngeschäft passieren und betrifft etwa Fragen, wie Produkte hergestellt werden, aus welchem Material, wie viel Energie notwendig ist und wie sie recycelt werden können.

Nicht zu vergessen die Logistik dahinter. Müsste man dabei nicht zuallererst an der überall verbreiteten Just-in-time-Produktion ansetzen – auch seitens der Politik?   

Hannah Witting: Das wäre sicher der richtige Hebel, zumal die Transportlogistik nur schwierig vom Dieselkraftstoff wegkommt. Die Wasserstofftechnologie ist noch nicht so weit und der Ausbau der Schiene dauert auch entsprechend. Wir sehen inzwischen aber leichte Tendenzen in den Unternehmen, über Standortverlagerungen nachzudenken und regionalere Lieferketten mit kürzeren Anfahrten und weniger Abhängigkeiten zu etablieren. Ein Problem dabei ist, dass es in vielen Branchen keine unternehmerischen Strukturen mehr im Land gibt, weil beispielsweise ganze Industrien nach Asien ausgelagert wurden. Dazu kommt, dass es aktuell oft immer noch günstiger ist, in Asien zu produzieren und den Transport zu bezahlen. Nach den Erfahrungen mit der Corona-Pandemie und den Lieferengpässen und unsicheren Transportwegen haben die Unternehmen aber teilweise angefangen, Lieferwege wenn möglich zu verkürzen oder die eigene Wertschöpfungskette entsprechend zu erweitern. Es hat also ein gewisses Umdenken eingesetzt, allerdings muss noch einiges passieren in naher Zukunft. 

Wie sieht der Blick in diese Zukunft aus? 

Hannah Witting: Einerseits kommen mit den verschiedenen gesetzlichen Regelungen und Richtlinien einige Herausforderungen auf die Unternehmen zu, die sie teilweise noch gar nicht kennen und auf die sie sich einstellen müssen. Sie müssen ihre Prozesse möglichst effizient gestalten, die Gebäude sind ein Thema und die Standorte auch. Ein weiteres großes Thema ist die Umstellung auf erneuerbare Energien. Da hören wir oft von Unternehmen, dass die Lieferung einer PV-Anlage ein Jahr und länger dauert, kein Material da ist und es an Fachkräften fehlt. Das sorgt für Unsicherheit und bremst die Prozesse aus. Jedes Thema, das die Unternehmen angehen, ist dabei sehr komplex und mit vielen Fragen verbunden. Es braucht einfach seine Zeit, differenziert sagen zu können: Wo fließt mein Wasser hin, was passiert mit meinen Abfällen? Wie sieht meine Lieferkette aus? Wie sehen meine Material- und Energiekreisläufe aus? Welche Einsparpotentiale haben wir? Dazu kommt, dass neben gesetzlichen Regelungen auch die Kunden und der Fachkräftemangel ein Treiber für Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind. Junge Menschen wollen von dem Unternehmen, für das sie arbeiten, deutliche Aktivitäten in diesem Bereich sehen. Es ist daher auch eine Frage der Priorität und Möglichkeiten, wo der Fokus gesetzt wird. Fest steht aber: Das Thema Nachhaltigkeit kommt jetzt von allen Seiten!

Zur PERSON

©Bereichsleiterin Mobilitätsmanagement in Unternehmen, B.A.U.M. Consult GmbH München/Berlin
Alisa Utz, Bereichsleiterin Mobilitätsmanagement in Unternehmen, B.A.U.M. Consult GmbH

„Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätsverhalten sind in hohem Maße individuell geprägt– auch im beruflichen und betrieblichen Kontext – und nehmen unmittelbar Einfluss auf unseren Fortschritt hin zu (mehr) Klimaneutralität. Im Kern geht es im Mobilitätsmanagement um das Aufdecken von Potenzialen für Veränderung sowie um das Aufbrechen von – häufig jahrzehntelang praktizierten – Gewohnheiten, Prozessen und Strukturen. In der Zusammenarbeit mit Institutionen und Unternehmen zu erfahren, wie durch passgenaue Maßnahmen im BMM (kleine und große) Stellschrauben justiert und damit Hebel in Gang gesetzt werden, ist für alle Beteiligten ein wohlverdienter Lohn für einen oft benötigten langen Atem!“

Als Geografin ist Alisa Utz seit 5 Jahren in Projekten rund um das Thema Mobilität und den damit verbundenen Transformationsprozessen auf dem Weg zu nachhaltiger Mobilität tätig. Sie ist ausgebildete Betriebliche Mobilitätsmanagerin und beschäftigt sich seit dem Studium mit dem Mobilitätsmanagement – sowohl auf Ebene der betrieblichen Mobilität als auch auf kommunaler Ebene. Seit 2022 verantwortet sie den Bereich Mobilitätsmanagement in Unternehmen bei der B.A.U.M. Consult GmbH. Arbeitsschwerpunkte liegen auf der Weiterentwicklung der eingesetzten Analysen und Tools und der zielgruppenspezifischen Konzeption von Maßnahmen – gemeinsam mit den Institutionen und Unternehmen.

Hannah Witting, Bereichsleiterin Zukunftsfähiges Wirtschaften, B.A.U.M. Consult GmbH

„Die Scope 3 Emissionen reichen tief in die Wertschöpfungskette und damit in die Geschäftstätigkeit der Unternehmen hinein. Hier Transparenz zu schaffen ist die Basis für Erkenntnisse und Ansatzpunkte für eine Entwicklung hin zu net zero“.

Hannah Witting ist als diplomierte Geografin seit 11 Jahren in der Beratung rund um die Themen Nachhaltigkeit und Umwelt tätig. Sie beschäftigt sich seit dem Studium mit Klimabilanzierung in Unternehmen und ist ausgebildete Beauftragte für Qualitäts-, Umwelt- und Energiemanagementsysteme. Seit 2014 ist sie bei der B.A.U.M. Consult tätig und gestaltet die Projekte, Netzwerke und Produktentwicklung verantwortlich mit. Arbeitsschwerpunkte liegen auf der Strategieentwicklung sowie der Konzeption und Moderation von Workshops in Unternehmen.


Das Interview führten Alexandra Bading (Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH) und Markus Heffner (Journalist und Redaktionsbüro) im April 2023.