Ein Arbeitsweg von bergigen 35 Kilometern ist für die meisten Berufspendler ein guter Grund, nach dem Frühstückskaffee ins Auto zu steigen. Bei Martin Franz ist das anders. Der Ingenieur fährt bei fast jedem Wetter mit dem Fahrrad von seinem Wohnort bei Reutlingen in den Vaihinger Synergiepark, wo die Firmenzentrale von Trelleborg Sealing Solutions seit Juni 2018 ihren Standort hat. Rund anderthalb Stunden braucht er von seiner Haustür bis zum Schreibtisch, etwas schneller geht es, wenn er auf sein Pedelec steigt. Sich jeden Morgen und jeden Abend mit dem Auto in den schier endlosen Stau auf der B27 oder einer der Umgehungsstrecken einzureihen, hat der 49-Jährige schon vor langer Zeit aufgegeben. „Mit dem Fahrrad zu fahren ist um einiges entspannter, viel gesünder und wird zudem auch noch belohnt“, sagt er.
Sein Arbeitgeber, der Dichtungsspezialist Trelleborg, überweist ihm und allen anderen Beschäftigten, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen, jeden Monat einen Zuschuss von 60 Euro. Alternativ gibt es auch die Möglichkeit, zu günstigen Konditionen ein Dienstrad über das Unternehmen zu leasen. Auch bei dieser Variante erhalten die fahrradaffinen Pendler, die im neuen Gebäude Duschen, Umkleidekabinen und Spinde nutzen können, obendrein noch einen Zuschuss von maximal 50 Euro. Kostenlose Ladestationen für Pedelecs oder auch E-Autos stehen zudem bereit. Das Angebot gehört zum neuen Mobilitätskonzept, das Trelleborg mit seinem Umzug in die schicke Firmenzentrale eingeführt hat. Das neue Innovation Center, wie Trelleborg das hochmoderne Entwicklungs- und Verwaltungsgebäude nennt, steht einerseits in unmittelbarer Nähe zum Vaihinger Bahnhof und ist damit gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden. Gleichzeitig hat das Unternehmen wenige Gehminuten entfernt fast ein komplettes Parkhaus angemietet. „Wir wollen keine strikten Vorgaben machen oder die Wahl eines einzelnen Verkehrsmittels forcieren, sondern Anreize schaffen für eigenverantwortliches Handeln unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, betont Raimund Alker, der unter anderem für den Unternehmensbereich Change Facilitation zuständig ist, also die Gestaltung von Veränderungsprozessen.
Eine dieser Neuerungen der jüngsten Zeit ist, dass Trelleborg einen ganzen Reigen flexibler Mobilitätsangebote entwickelt hat, aus denen die rund 500 Beschäftigten am Standort die jeweils passende Variante aussuchen können. Vorangegangen ist eine Befragung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Pendlersituation und der Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz. Aus der Bewertung dieser Analyse ist die Überzeugung entstanden, so Alker, „dass wir das Thema Mobilität anders angehen müssen“. Seit der Einführung des neuen Mobilitätskonzepts übernimmt Trelleborg nun unter anderem die vollen Kosten der Jobtickets für den öffentlichen Nahverkehr, auch über die VVS-Grenzen hinaus. Für weitere Zonen oder bestimmte Ticketoptionen legt das Unternehmen zudem noch zwei Drittel des Aufpreises dazu. „Wer sich jeden Tag freiwillig in einen Stau stellt, kommt schon gestresst zur Arbeit. Damit tut er weder sich noch der Firma einen Gefallen“, sagt Raimund Alker.
Rund 60 Beschäftigte haben sich seit der Einführung des neuen Mobilitätskonzepts dazu entschlossen, einen neuen Arbeitsweg auszuprobieren und das Auto stehen zu lassen. Zu ihnen gehört auch Daniela Schluchter, die schon seit 28 Jahren bei Trelleborg arbeitet. Viele Jahre ist die 50-Jährige mit dem Auto zur Arbeit gefahren, nun fährt sie von ihrem Wohnort Gärtringen mit der S-Bahn. Etwa eine halbe Stunde braucht sie für ihre Arbeitsweg, das aber zu jeder Zeit. Mit dem Auto musste sie spätestens um sechs Uhr morgens losfahren, um nicht im Stau zu stehen, erzählt sie. Zum Umstieg hatte sie sich gleich nach der der Vorstellung des neuen Konzepts entschlossen. „Ich finde das Angebot, das Jahresticket komplett zu übernehmen, sehr großzügig“, sagt die Vertriebsexpertin, die sich den Luxus gönnt, wie sie sagt, in der ersten Klasse zu fahren. „Da hat man auch morgens zur Hauptzeit einen sicheren Sitzplatz“, sagt sie. Zwei Drittel der Kosten für diese Zusatzoption übernimmt ihr Arbeitgeber, der Rest geht auf ihr eigenes Konto.
Seit Trelleborg das Thema Mobilität neu aufgestellt hat, sind die Kosten für die Zuschüsse deutlich gestiegen. „Das Unternehmen zahlt sehr viel pro Mitarbeiter“, betont Raimund Alker. Auch die Entscheidung, in den Synergiepark am Vaihinger Bahnhof zu ziehen und nicht irgendwo auf die grüne Wiese, was wesentlich günstiger gewesen wäre, sei eine ganz bewusste Standortentscheidung im Sinne eines nachhaltigen Mobilitätsgedankens gewesen, so Alker, der dabei auch den wichtigen Fachkräftemarkt im Blick hat. „Eine gute und flexible Erreichbarkeit ist ein wichtiger Aspekt, wenn man ein attraktiver Arbeitgeber sein will“, sagt Alker, der immer wieder Delegationen durch die neue Firmenzentrale führt und dabei auch das Konzept „Work and Living Space“ erklärt. So war erst jüngst eine Abordnung aus dem Stuttgarter Rathaus zu Besuch, angeführt von Finanzbürgermeister Michael Föll.
Neben der Unterstützung jener Pendler, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad oder zu Fuß zur Arbeit kommen, zahlt Trelleborg nach wie vor auch einen Zuschuss für Fahrten mit dem Auto. Dieser wurde mit der Einführung des neuen Konzept aber auf maximal 120 Euro gesenkt, zuvor hatte das Unternehmen je nach Entfernung bis zu 150 Euro pro Mitarbeiter gezahlt. Ein weiteres wichtiges Standbein im betrieblichen Mobilitätsmanagement des Unternehmens wird seit April 2017 unter der Überschrift „Mobile Work“ praktiziert. Jeder Mitarbeiter hat seither die Möglichkeit, bis zu 20 Prozent seiner Arbeitszeit von Zuhause aus abzuleisten – sofern es die jeweilige Aufgabe zulässt. Teamarbeit sei bei Trelleborg sehr wichtig, daher habe man sich bei diesem Modell zunächst auf 20 Prozent verständigt. „Wir legen Wert darauf, dass diese Regelung flexibel gehandhabt wird und wir uns nicht auf feste Tage im Homeoffice festlegen“, sagt Raimund Alker. „Es gibt immer Situationen, wenn etwa kurzfristig ein Meeting anberaumt wird oder ein Kollege ausfällt, in denen die Anwesenheit vor Ort erforderlich ist.“ Auch Daniela Schluchter und Martin Franz nutzen regelmäßig die Möglichkeit, einen Arbeitstag Zuhause zu verbringen, wenn beispielsweise wieder einmal die S-Bahnen nicht fahren, wie Daniela Schluchter sagt. „Flexibel zu sein macht das Leben um einiges leichter“, betont sie. Ihre bisherigen Erfahrungen mit dem neuen Arbeitsweg sind fast durchgehend gut, wie sich das Konzept insgesamt bewährt hat, will Trelleborg in absehbarer Zeit evaluieren. „Wir wollen wissen, wo wir noch optimieren und beispielsweise den Beschäftigten, die von der Alb kommen, den Nahverkehr schmackhaft machen können“, sagt Raimund Alker. „Insgesamt sind wir aber sicher auf einem sehr guten Weg.“