„Elektromobilität ist ein wichtiger kommunaler Standortfaktor!“

Bis 2030 sollen in Deutschland 15 Millionen Elektrofahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein und eine Million öffentlich zugängliche Ladepunkte zur Verfügung stehen. Umgesetzt werden müssen die ambitionierten Ziele der Bundesregierung letztlich auch in den Landkreisen und Städten. Wir beleuchten in einer Interview-Reihe, wo die Region Stuttgart aktuell steht. Im ersten Teil der Serie erklärt Michael Ruprecht von der Landesagentur e-mobil BW, welche Rolle die Kommunen spielen und welche Unterstützung sie erhalten.

Michael Ruprecht von der Landesagentur e-mobil BW vernetzt Kommunen, um den Ausbau von Ladeinfrastruktur vor Ort voranzubringen.

Herr Ruprecht, der furchtbare Angriffskrieg, den Russland in der Ukraine führt, hat die Diskussion um die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen neu entfacht. Kommt jetzt der große Elektroboom?

Solche Vorhersagen sind schwierig zu treffen und wir haben leider auch keine Glaskugel. Gleichwohl besteht natürlich schon immer ein direkter Zusammenhang zwischen den Energiepreisen und der Attraktivität der Elektromobilität. Die einfache Rechnung dabei lautet: Die Betriebskosten für E-Mobilität müssen spürbar günstiger sein als bei herkömmlicher Verbrennertechnologie. Als Haupttreiber für Elektromobilität sehen wir aber in jedem Fall den Klimaschutz und die damit verbundenen Vorgaben.

Staatlich verordnete Spritpreise von drei, vier oder fünf Euro pro Liter dürften aber kaum durchzusetzen sein, zumal in schwierigen Zeiten wie diesen.

Die Bundesregierung hat vergangenes Jahr die CO2-Bepreisung auch für die Bereiche Wärme und Verkehr eingeführt, um Anreize für sparsamen Energieverbrauch zu setzen. Aktuell hat die Bundesregierung angesichts der stark steigenden Energiepreise schnelle und spürbare Entlastungen auf den Weg gebracht. Dazu zählen umfassende steuerliche Entlastungen für Kraftstoffe. Zu welchen Preisen diese Eingriffe in den Markt letztlich führen, wird sich zeigen. Fest steht aber: Wir werden nicht darum herumkommen, massiv in den Klimaschutz zu investieren und dabei insbesondere den Ausbau erneuerbarer Energien zu forcieren. Dieser Bereich wird künftig vermutlich noch wesentlich stärker gefördert werden. Das kommt dem Klimaschutz zugute, bringt gleichzeitig aber auch eine gewisse Unabhängigkeit und Resilienz des Energie- und Verkehrssystems. Wir haben drei Energieformen, mit denen wir den Verkehr annähernd klimaneutral gestalten können: Strom, Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe auf Basis erneuerbarer Energien. Für alle drei Energieformen braucht man jeweils ausreichend Infrastruktur, um die Energie in die Fahrzeuge zu bekommen. Und das nicht nur auf der Straße, sondern auch im Bereich Schienenverkehr, Schifffahrt und Luftverkehr. Derzeit stehen fast ausschließlich Ladesäulen für Elektroautos im Fokus.

Welche Rolle spielen die Kommunen dabei und wo stehen sie aktuell?

Wir beobachten den Markt der Elektromobilität schon seit der Gründung unserer Landesagentur vor zwölf Jahren sehr genau. Die Kommunen waren von Beginn an zentrale Akteure bei der Etablierung der E-Mobilität, ihre Rolle hat sich zwischenzeitlich aber geändert. Wir brauchen im Grunde keine Forschungsprojekte mit kommunaler Beteiligung mehr und es wird auch kaum noch welche geben. Alle Fragen in diesem Bereich sind hinlänglich geklärt. Die Verkaufs- und Zulassungszahlen von Elektrofahrzeugen zeigen deutlich, dass die Technologie am Markt angekommen ist. Die Rolle der Kommunen liegt daher nun in der Planung und Koordinierung von ausreichender Infrastruktur. Und damit sind eben nicht die vor vielen Jahren entstandenen Bürgermeister-Ladesäulen vor dem Rathaus gemeint. Das war am Anfang wichtig, als die Kommunen in der Vorreiterrolle waren und beispielweise über ihre Stadtwerke Ladepunkte aufgebaut haben. Jetzt muss es darum gehen, Ladepunkte und Schnellladeparks auf privaten Flächen zu errichten, die öffentlich zugänglich sind. Welche Flächen sich vor Ort dafür eignen, wissen die Kommunen am besten.

Aber haben die Kommunen in ihren ohnehin ausgelasteten Verwaltungen auch die Kapazitäten dafür?

Die Planung von Ladeinfrastruktur, die es vielen Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, ihr Fahrzeug zu laden, ist zweifellos personalintensiv. Es braucht dazu zudem auch entsprechende Fachkonzepte für Ladeinfrastruktur und Planungstools. Für all das gibt es aber Unterstützung von Land und Bund. So fördert das Land Baden-Württemberg beispielsweise 50 Prozent der Personalkosten, die für kommunale Kümmerer in diesem Bereich anfallen. Das Bundesverkehrsministerium stellt umfangreiche Fördermittel für die Ladeinfrastruktur zur Verfügung. Elektromobilität ist ein wichtiger kommunaler Standortfaktor und ich habe den Eindruck, dass dies auch flächendeckend so wahrgenommen wird.

Wie drückt sich diese Wahrnehmung in Zahlen aus?

Baden-Württemberg liegt im Vergleich der Bundesländer mit rund 9.000 öffentlichen Ladepunkten zusammen mit Bayern und Nordrhein-Westfalen ganz vorne. Dazu kommt noch eine Vielzahl privater Ladepunkte zu Hause oder bei Arbeitgebern, die nicht an die Bundesnetzagentur gemeldet werden müssen und damit nicht konkret beziffert werden können. Das Land hat mit verschiedenen Förderprogrammen für ein flächendeckendes Ladenetz gesorgt und wird bedarfsgerecht, z.B. durch Schnelladehubs und Ladepunkte in Quartiersgaragen, nachverdichten. Zahlen sind aber immer nur Momentaufnahmen und eignen sich auch nicht für ein Ranking. In unserem e-mobil BW Datencenter zeigen wir auf Stadt- und Landkreisebene, dass sich die Ladeinfrastruktur sehr dynamisch entwickelt und es vorangeht.

Angesichts der Vorgaben der Bundesregierung kann es eigentlich nicht schnell genug vorangehen. Müssten die Kommunen noch mehr Anreize schaffen?

Wir haben den Eindruck, dass die Kommunen das Thema gerade sehr intensiv bearbeiten. Das merken wir auch in den Gremien des Städtetags und Landkreistages und an den Rückmeldungen der Bürgermeisterinnen und Landräte. Wir empfehlen dabei immer, Anreize zu schaffen, beispielsweise kostenloses Parken für Elektrofahrzeuge anzubieten. Um zu unterstützen, haben wir vor einigen Jahren ein Kommunennetzwerk gegründet, das einen Erfahrungsaustausch über ganz konkrete Herausforderungen ermöglicht. Beispielsweise auch über die Fragen, wie Kommunen die rechtlichen Vorgaben bei öffentlicher Ladeinfrastruktur einhalten können oder, wie Städte und Gemeinden mit Ladekabeln umgehen, die von Elektroautobesitzern über den Gehweg verlegt werden.

Was dieses Thema betrifft, hat die Landesagentur mit dem Stuttgarter Westen ja den richtigen Standort für ihren Firmensitz gewählt. Mitunter sieht man hier auch Stromkabel aus Fenstern im vierten Stock hängen oder anderer waghalsige Konstruktionen. Welche Lösungen gibt es für so dicht besiedelte Wohngebiete, in denen sich kaum Tiefgaragen finden?

In dicht besiedelten Gebieten wie im Grunde dem gesamten Stuttgarter Talkessel muss der Verkehr noch mehr als anderswo ganzheitlich und multimodal entwickelt werden. Was die verkehrliche Wirkung betrifft, macht es ja keinen Unterschied, ob man ein E-Auto fährt oder ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Hier sind intelligente, intermodale Mobilitätskonzepte gefragt, die den ÖPNV oder Sharingangebote stärker einbeziehen. Aber auch in solchen Quartieren liegt die Zukunft der Elektromobilität in urbanen Schnellladeparks, für die man geeignete Flächen braucht. An solch einer Station ist das Auto in ca. 20 Minuten geladen, was dann schon vergleichbar mit dem Zeitaufwand bei einer Fahrt zur herkömmlichen Tankstelle ist. Dabei entstehen Geschäftsmodelle um den Ladevorgang herum, wie z.B. Einkaufsmöglichkeiten oder Dienstleistungen.

Von welcher Größenordnung sprechen wir bezüglich der notwendigen Kapazitäten und wer soll das alles bezahlen?

Wenn man von 15 Millionen Elektrofahrzeugen im Jahr 2030 in Deutschland ausgeht, was rund ein Drittel des Gesamtbestands an PKW ausmachen würde, brauchen wir Stand heute eine Verzehnfachung der Ladeinfrastruktur. Wir sprechen also von einer sehr hohen Anzahl an neuen Ladestationen in kürzester Zeit. Diese werden dann nicht mehr ausschließlich über Fördermittel finanzierbar sein, solche enormen Summen stehen gar nicht zur Verfügung. Es braucht daher private Investoren, für die sich der Aufbau einer solchen Infrastruktur wiederum rechnen muss. Momentan lässt sich damit nur an sehr wenigen Standorten Geld verdienen, vielleicht an einer Schnellladestation auf einem Autobahnrastplatz. Wir brauchen aber auch Ladepunkte auf einem Wanderparkplatz auf der Schwäbischen Alb. An solchen Standorten mit Marktversagen sollte die öffentliche Hand mit Fördermitteln nachhelfen. Die Masse an Ladepunkten müssen aber von Investoren finanziert, aufgebaut und betrieben werden.

An wen denken Sie da?

Am Beispiel Norwegen sehen wir aktuell, dass die Mineralölkonzerne ihre herkömmlichen Tankstellen zunehmend zu Ladeparks umrüsten. Dort ist der Anteil von Elektroautos deutlich höher als in Deutschland. Interessant wäre ein solches Geschäftsmodell aber auch für Supermarktketten, Baumärkte, Kinos oder Tiefgaragenbetreiber. Elektromobilität wird schließlich zunehmend ein Marketingfaktor. Und an diesem Punkt kommen wieder die Kommunen ins Spiel. Nur auf lokaler Ebene lässt sich letztlich beurteilen, wie viele öffentliche oder private Flächen für Ladepunkte zur Verfügung stehen, beispielsweise im Stuttgarter Westen. Im Übrigen stellen wir fest, dass es aktuell einen Run auf die aus wirtschaftlicher Sicht künftig guten Standorte für Ladeinfrastruktur gibt. Die Filetstücke sind in der Regel schon an Betreiber vergeben.

Angesichts des massiven Ausbaus an Ladepunkten stellt sich noch eine andere Frage: Wird der Strom für alle reichen?

Die Frage lautet eigentlich eher: Welche klimafreundlichen Alternativen haben wir? Der batterieelektrische PKW ist die beste Option für den motorisierten Individualverkehr. Sicherlich ist es so, dass die Stromnetze teilweise noch verstärkt und zusätzliche Trafos installiert werden müssen. Die Netze BW als größter Verteilnetzbetreiber im Land ist in diesem Bereich sehr aktiv und betreibt etliche Netz-Labore und Forschungsprojekte, bei denen verschiedenste Anwendungsfälle zur Integration der Elektromobilität untersucht werden. In den Bereichen Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe ließe sich die Produktion im Vergleich nicht ansatzweise schnell genug hochfahren, um mit der geforderten Entwicklung Schritt halten zu können. Dennoch werden wir letztlich alle drei Energieformen brauchen, von denen ich am Anfang gesprochen habe; je nach Anwendungsfall Fahrzeuggewicht und Reichweitenanforderung.

Also reicht der Strom?

Aktuell sind rund eine Million Elektrofahrzeuge in Deutschland zugelassen. Für diese eine Million Fahrzeuge benötigen wir gemessen am Gesamtverbrauch ca. 0,5 Prozent mehr Strom. Bei diesen Werten zuckt kein Netzbetreiber zusammen. Die Antwort lautet also: Ja, der Strom reicht aus.

Zur Person

Michael Ruprecht von der Landesagentur e-mobil BW vernetzt Kommunen, um den Ausbau von Ladeinfrastruktur vor Ort voranzubringen.

Michael Ruprecht ist bei der Landesagentur e-mobil BW seit 8 Jahren für die kommunalen Themen der Elektromobilität zuständig. Mit Blick auf Technologie und Innovation initiiert er auch Projekte zum autonomen Fahren und vernetzten Mobilitätslösungen in ganz Baden-Württemberg. Der studierte Politikwissenschaftler mit MBA Marketing Management wünscht sich eine nachhaltige und klimaneutrale Mobilität für seine Kinder.

Landesagentur e-mobil BW

Die Landesagentur für neue Mobilitätslösungen und Automotive e-mobil BW GmbH treibt im Netzwerk mit Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlicher Hand die Industrialisierung und Markteinführung zukunftsfähiger Mobilitätslösungen voran. Damit stärkt sie langfristig den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Baden-Württemberg. Die e-mobil BW arbeitet mit Kommunen zusammen und verfolgt damit eine regionale Strategie zur flächendeckenden Etablierung klimafreundlicher und vernetzter Mobilität in Baden-Württemberg. Zudem koordiniert sie den Strategiedialog Automobilwirtschaft BW sowie die Cluster Elektromobilität Süd-West und Brennstoffzelle BW, die Landeslotsenstelle Transformationswissen BW und die Plattform H2BW.

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Das Interview führten Alexandra Bading (Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH) und Markus Heffner (Journalist und Redaktionsbüro) im März 2022.